Wie viele deutsche Lachkulturen?


Eulenspiegel, Titanic und die Wende
Walther FEKL (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (O.))
Article paru dans Ridiculosa n° 7 (2000) Das Lachen der Völker/Le rire des nations. Actes du colloque de Munich 2-4 mars 2000.

Die Fragestellung



Im Zuge und nach der Wiedervereinigung Deutschlands gab es vielfältige Versuche, diesen Vorgang als Spezialfall einer gewissermaßen intra-nationalen Kulturberührung zu begreifen. Ich möchte meinerseits der Frage nachgehen, ob 1989/90 auch zwei deutsche Lachkulturen aufeinander trafen. Der Lachkultur-Vergleich ist allerdings nicht einfach. Die Bildsatire wurde in der DDR in solchem Maße ideologisch dienstverpflichtet, dass es schwer fällt zu bestimmen, was nur staatlichem Auftrag geschuldet ist und was tatsächlich einer kulturellen Tiefenstruktur zuzuschreiben ist. Auch für die Zeit nach 1989 sind die untersuchungstechnischen Probleme so vielfältig, dass von der folgenden Darstellung lediglich Hinweise auf gewisse Trends erwartet werden sollten. Meine Untersuchung beschränkt sich auf den Vergleich der unterschiedlichen Thematisierungsstrategien, die die beiden großen deutschen Satiremagazine, der ostdeutsche Eulenspiegel und die westdeutsche Titanic in Hinblick auf die Wiedervereinigung entfalteten. Doch auch diese Wiedervereinigung ist ja nicht einfach ein klar umrissener Gegenstand, der einfach aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird. Vielmehr trifft hier in besonderem Maße zu, dass der Blick, dass die Perspektive erst den Gegenstand als solchen konstituiert. Jemand, der seit 40 Jahren im Geltungsbereich des Grundgesetzes gewohnt hat, erlebte dessen Ausdehnung auf das Gebiet der ehemaligen DDR sicher anders als ein DDR-Bewohner, für den die bisher gültigen Gesetze, Normen, Strukturen und Verhaltensweisen durch andere ersetzt wurden. Dies gilt es, im Hinterkopf zu bewahren, wenn im Folgenden der Einigungsprozess aus Titanic- und Eulenspiegel-Perspektive betrachtet wird.

Titanic über den Eulenspiegel

Die ersten Hinweise auf zwei distinkte Lachkulturen entnehmen wir einem Text, und zwar einer der regelmäßigen Kolumnen von Hans Mentz in der Titanic. In seiner « Humor-Kritik » in Nr. 5/90 lesen wir unter anderem:

Ein Grundton fatalistischer Larmoyanz durchzieht diesen ‘Eulenspiegel’, ein säuerliches Missvergnügen an der neuen Unübersichtlichkeit rundum. Weder wird die als Möglichkeit begriffen, mal endlich mal [sic] auf den Pudding hauen zu können, noch weint man der alten verlorenen Ordnung offene Tränen nach. Stattdessen macht man besinnungslos weiter. Mit den alten, stumpfen Theaterschwertern prügelt man auf liebgewordene Popanze ein, daß es nur so staubt […] Der (gemeint ist der Eulenspiegel, W.F.) sitzt zwar im Zentrum all der Vermengungen, in Ostberlin, der beteiligt sich mit seiner West-Ausgabe sogar am rattenhaften Zusam­menwuchern der Systeme, ohne daß doch seine Mitarbeiter begriffen hätten, daß diesem vielfältigen Geschlinge, Gehacke und Gehaste mit den plakativen Kapitalismusallegorien des vorigen Jahrhunderts in keiner Weise mehr beizukommen ist. […] Vierzig Jahre lang hat der ‘Eulenspiegel’ staatstragende Satire betrieben. Nun, da dieser Staat zusammengebro­chen ist, denkt er inmitten all des Staubes nicht daran, wenigstens einmal seinen Spiegel zu putzen. Die blinde Fläche der Welt vorhaltend, jammert er hoffnungsvoll: Alles wie immer, nicht wahr, alles wie gehabt, stimmt’s? (S. 50)

 

Dixit Hans Mentz, seines Zeichens « Humorkritiker », der sich damit offenbar als Angehöriger der Besser-Lachis, einer Unterspezies des Besserwessis outen möchte. Mentz gibt die Order aus: Von Titanic lernen, heißt lachen lernen. Angesichts des Zustands des Konkurrenzblattes hilft wohl nur noch die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Titanic-Lachkultur auf die Population der Eulenspiegel-Leser. Wer sich hingegen mit der West-Ausgabe des Eulenspiegel einlässt, begeht Verrat, beteiligt sich am « rattenhaften (!) Zusammenwuchern der Systeme ». Wem diese Metaphorik die Sprache und das Lachen verschlägt, darf sich trotzdem über den Humorkritiker freuen, z.B. wenn dieser dem Eulenspiegel eine bislang unbekannte Vorgeschichte andichtet. Deren innovativer Wert besteht darin, dass er Sandbergs Ulenspiegel mit dem Frischen Wind, dem tatsächlichen Vorgänger des Eulenspiegel, verwechselt (S. 48).

Doch nun zu den Bildern. Angesichts der Bilderflut dieser Zeit benötigte ich ein eingrenzendes Kriterium, mit dem die Suche nach übereinstimmenden oder divergierenden Praktiken in der deutsch-deutschen Zeichen-Setzung praktikabel werden sollte. Ich hoffe, pertinente Kategorien gefunden zu haben, wenn ich mich zum einen konzentriere auf Flaggen und Embleme, diese simpelsten und eindeutigsten Zeichen nationaler bzw. staatlicher Identität, und zum anderen die Darstellungen der Bewohner des jeweils anderen Landesteils miteinander vergleiche. Da freilich jede einzelne Karikatur mit einer Vielzahl von Inszenierungsstrategien operiert, ist ein eindeutiges Einsortieren der Zeichnungen in die eine oder andere Schublade unmöglich, Überschneidungen sind daher im Folgenden kaum vermeidbar.

Vom Umgang mit Fahnen, Emblemen, Symbolen

Titanic und die nationale Symbolik

Um die Diagnose gleich an den Anfang zu stellen: Bei den Titanic-Zeichnern ist eine akute Emblem- und Nationalfarben-Allergie zu konstatieren. Titanic befasst sich nicht mit der Denunzierung der einen oder anderen missbräuchlichen Verwendung dieser visuellen Elemente. Zeichen des Natio­nalen sind vielmehr Gegenstand einer generellen Ironisierung. Eine der m.E. überzeugendsten und witzigsten Arten derartiger Denunzierungsstrategien liefert 11/90: 44 (Abb. 1, Original in Farbe). Hier werden die Nationalfarben als Teil eines totalitären kleinbürgerlichen Rituals inszeniert. Alles ist in schwarz-rot-gold gehalten: die Wand, der Fernsehapparat, das Fernsehbild, der Gartenzwerg nebst Fahne, der Fußboden usw. Allumfassend und daher unentrinnbar, totalitär ist diese einfältige Dreifarbigkeit. Bemerkenswert ist die Ortswahl als Teil der Inszenierungsstrategie: Titanic begibt sich nicht in den politischen Raum, sondern verlegt die nationale Farborgie ins kleinbürgerliche Interieur, in die Privatsphäre, die damit als völlig vom Nationalen durchdrungen erscheint. Diese Transposition des Öffentlichen ins Private ist überhaupt ein Charakteristikum der Thematisierung der Einheit durch Titanic. Wir werden ihr bei der Darstellung des Anderen wiederbegegnen.

Besonders auffällig ist im Jahrgang 1990 der Rückgriff auf Skatologie und Sexualität in für deutsche Verhältnisse – auch für Titanic – untypischem Ausmaß. Schwarz-rot-gold dringt ins Schlafzimmer und in die Toilette, diese letzten Refugien der Privatheit, vor. In der August-Nummer (8/90: 12-14), deren Titelblatt eine rötlich gelockte Sex-Puppe mit schwarz-rot-goldener Wangen-Bemalung ziert, begleitet vom Text « Nachdenken über Deutschland mit Dr.Dolly Lavedoll », wird gleich ein ganzer Katalog von schwarz-rot-goldenen Utensilien für den Gebrauch unterhalb der Gürtellinie aufgeblättert: Toilettenpapaier, Tampon, Windel und aufblasbare Sex-Puppe sind nur einige Beispiele aus dem dreifarbigen Warenangebot. Ganzseitig wird in 11/90: 42 Helmut Kohls angebliche Unterhose abgebildet, ein altväterliches Modell mit schwarz-rot-goldenen Flecken an einer bestimmten Stelle, die darauf hindeutet, dass der Kanzler der Einheit einen einsamen nationalen Orgasmus gehabt haben muss, eine Art großer vaterländischer Pollution. Die Bild-Legende besteht aus einem Kohl-Zitat: « Für mich ist dieser Augenblick einer der glücklichsten in meinem Leben. » Zahlreiche Karikaturisten ließen sich vom Wort « (Wieder-)Vereinigung » zu naheliegenden Bettszenen inspirieren. Titanic verweigert sich dieser Art der gutmütig-anzüglichen Illustrierung des Einheitsprozesses fast völlig, sondern verwendet Bilder, die mit ihrer konsequenten Verwendung von Sexual- und Fäkal(bild)sprache jegliche klammheimliche Freude über die nationale Normalisierung als infantile Regression erscheinen lassen. Der ganz ungewöhnlich intensive Rekurs auf dieses Darstellungsmittel lässt erkennen, dass das Nationale paradoxerweise auch für die Zeitschriftenmacher so etwas wie eine einigende Ideologie ist, freilich nicht im Sinne einer Fahne, der alle hinterlaufen, sondern als rotes Tuch (mit braunen Flecken) 1.

– Flagge zeigen und Farbe bekennen im Eulenspiegel

Die Fahne und die Embleme, auf die sich die Eulenspiegel-Zeichner beziehen, sind vor allem diejenigen der DDR. Diese Identitätsmarker werden im Laufe des Einigungsprozesses zunehmend malträtiert, in Mitleidenschaft gezogen, verstümmelt. Das deutlichste Zeichen in dieser Hinsicht ist die Thematisierung des in der Realität auf vielen Demonstrationen zu sehenden Lochs in der DDR-Fahne. Dieses symbolhafte Loch bedeutete in der Realität der Wendezeit eine Kampfansage an die Staatsmacht, deren visuelle Definition der DDR-Identität nicht mehr akzeptiert wurde. Das meinte: Wir sind das Volk, wir machen Eure Symbolpolitik nicht länger mit, wir lehnen Eure so symbolisierte Macht ab. Durch das Ausschneiden des Emblems bleiben allerdings nur noch die Farben schwarz-rot-gold übrig. Gewollt oder nicht, sagt eine so reduzierte Fahne damit implizit auch: Wir sind ein Volk. Von den Eulenspiegel-Karikaturisten wurde diese Loch-Fahne, in vielfältiger Weise eingesetzt, jedoch kaum in Auseinandersetzung mit dem eigenen Staat. Durch den Wegfall dieser Opposition änderte sich die Bedeutung des Zeichens « Loch », zumal es stattdessen in aller Regel in innerdeutschen Kontexten eingesetzt wurde. Aus der Frontstellung zum eigenen Staat wurde eine deutsch-deutsche Konfrontation. Das Loch konnotierte nunmehr den Verlust der Ost-Identität. Sofern das Loch geflickt ist, verweist es auf eine (mehr oder minder opportunistische) Anpassung an die neue gesamtdeutsche Identität. Diese wird dabei auch auf dem Gebiet der Symbole nicht etwa in einer deutsch-deutschen Debatte ausgehandelt, sondern durch schlichte Übernahme des westdeutschen Modells vollzogen. Die recht häufigen Fälle, in denen die neue Fahne ganz deutlich Flickwerk bleibt, die Farben im kleinen runden Teil z.B. auf dem Kopf stehen, können (mindestens) auf zweierlei Weise interpretiert werden. Entweder soll damit suggeriert werden, dass hier zusammengezwungen wurde, was nicht zusammengehört, oder aber es wird mahnend darauf hingewiesen, dass man die Teile nicht in der Weise, wie aktuell geschehen, zusammenfügen darf, wenn man will, dass sie annähernd nahtlos zusammenpassen und wenn das alles langfristig halten soll.

 

Das Loch fungiert, offen oder geflickt, in deutsch-deutschen Kontexten auch als Zeichen des Minderwertigkeitsgefühls, relativer Armut, des Mangels. Der DDR-Bürger tritt damit qua Kleidungscode als homo germanicus deficiens auf, als Deutscher mit offenkundigen (historisch-politischen) Webfehlern. Dies wird z.B. offensichtlich, wenn doppelte Michel konfrontiert werden oder wenn ein unbedarfter Ost-Michel dem Bundeskanzler persönlich ausgeliefert wird. Der Kanzler kann sich freilich auch von einem seiner Stellhalter auf östlicher Erde vertreten lassen. Das ist dann zumeist Lothar de Maizière, der letzte DDR-Ministerpräsident, der z.B. einem Ostdeutschen im schwarz-rot-goldenen T-Shirt mit ausgeschnittenem Emblem eine Michel-Mütze überstülpt, die ihm völlig die Sicht nimmt und dies lakonisch mit « Paßt! » kommentiert (23/90: 3; Abb. 2).

Nicht weniger interessant als die symbolische staatspolitische Selbstkastration durch Beseitigung des zentralen Emblems aus der Flagge sind alle möglichen Formen der Emblem-Substitution, zeigen sie doch, welche neuen Identitätsmarker für relevant erachtet werden. Eine neue Füllung des Lochs ist z.B. die Banane, die phallisch die Badehose des DDR-Touristen ziert, der mit Hilfe der neu erworbenen DM – die Währungsunion wurde ja bereits Anfang Juli vollzogen – bei den Kofferträgern und fliegenden Teppichhändlern am Strand von Warna einen der « neuen Herren des Strandes » (so der Titel) geben kann (30/90: 1). Stephen Jacob ersetzt Hammer und Zirkel durch Micky Maus im Ährenkranz (10/90: 11) und macht so deutlich dass mit der Mauer auch die Mauer gegen den Ansturm westlicher « Disney-Kultur » gefallen ist. Ausgesprochener Beliebtheit erfreuen sich diverse Formen der Substitution von Hammer und Zirkel durch den Mercedes-Stern, womit nicht zuletzt die Ablösung des Primats staatlicher durch ökonomische Macht visualisiert wird (z.B. von L.Otto in 20/90: 19).

-Die Ost-Eule merkt: Wir haben jetzt den gleichen Vogel

Gerne werden die alten DDR-Embleme auch mit dem Bundesadler in Verbindung gebracht. Dabei wird dessen Raubvogel-Eigenschaft in den Vordergrund gerückt. Er hält entweder seine Opfer in den Krallen oder hat sie zur Strecke gebracht oder aber er verschlingt sie sogar. Der Dreischritt von Fangen, Töten, Einverleiben liefert dem Eulenspiegel sinnfällige Metaphern für seine Sicht auf den Vollzug der Einheit.

Einige dieser Zeichnungen seien hier wenigstens kurz vorgestellt. Cleo-Petra Kurze zeigt Kohl als « Falkner », auf dessen Handschuh der Bundesadler sitzt, und zwar in der Variante, wie er auf der Zwei-Mark-Münze abgebildet ist. Die Jagdstrecke besteht aus etlichem Getier sowie aus Hammer und Zirkel, den Ährenkranz hält der Kanzler selbst in der rechten Hand (44/90: 1). Schwalme illustriert den Mode-Begriff « Joint venture » in bissiger Lakonie: Ein Bundesadler hält Hammer und Zirkel im Ährenkranz in seinen Krallen (2/90: 13). Pribbernow zeichnet seinerseits den Bundesadler im Begriff, das DDR-Emblem zu verschlucken (5/90: 11).

Daneben gibt es jedoch auch zwei Serien, die ausschließlich der Verulkung des emblematischen Vogels dienen. Dieser erscheint in einer Fülle von Varianten, von denen nur einige genannt werden können (aus 44/90: 12f.): der unvermeidliche Kohl-Adler in mehreren Varianten, der « Bundesadler mit Federkrone in den Farben der angeschlossenen Reservate » von B.Henniger, der Adler im Engels-Kostüm, als Kreuzung mit Dumbo, dem fliegenden Elefanten, und sogar als aufblasbarer Kuscheladler von Frank Leuchte (« Das, was man sich schenken kann!!! […] Zugreifen bevor die Luft ‘raus ist »), usw. usf. Hier wird nichts konkret angegriffen, hier werden schlicht und einfach hehre nationale Gefühle nicht ernst genommen; die Hohlheit des Hoheitlichen wird vorgeführt. Dies ist eine Art Satire, wie sie im Eulenspiegel bislang nicht vorkam, die in manchem der Titanic ähnelt, ohne sie zu imitieren. Dass sie in der Regel harmloser bleibt als beim West-Pendant, müssten wir dem Frankfurter Humorkritiker konzedieren. Festzuhalten bleibt: Auch wenn hier etwas zaghaft und mit kleinem Löffel « auf den Pudding gehauen » wird – ein neuer Ton ist spürbar.

Der andere Deutsche in Titanic und Eulenspiegel

Nach Betrachtung des nunmehr grundsätzlich gemeinsamen, in der Ausführung jedoch durchaus unterschiedlichen Bezugs auf die altneue Nation, lässt die Darstellung der jeweils anderen Deutschen erkennen, inwiefern Übereinstimmungen und Unterschiede in den Thematisierungsstrategien beider Zeitschriften bestehen.

Repräsentanten Westdeutschlands sind im Eulenspiegel häufig Politiker, wobei die Verwendung des Plurals fast missbräuchlich erscheinen kann, dominiert doch einer ganz die Szene: Helmut Kohl. Dieser tritt im übrigen häufig gemeinsam mit Lothar de Maizière als Partner eines ungleichen deutsch-deutschen Doppels auf. Die Körpergröße und Leibesfülle des einen, die Kleinheit und Schmächtigkeit des anderen lassen die beiden wie Partner eines von Natur aus komischen Paares erscheinen. Ihre häufige Darstellung bot sich von daher zu komischer politischer Aussage an, ihre Abbildung scheint bei aller selbstverständlich praktizierten Hyperbolisierung geradezu referentiellen Charakter zu haben. Auch den durch Körperattribute konnotierten Eigenschaften wie Macht versus Ohnmacht, Reichtum versus Armut, Kraft versus Schwäche usw. scheint somit geradezu ein naturwüchsiger Charakter zuzukommen. Die Darstellung der Ostdeutschen als Spielzeug in der Hand Westdeutschlands ist mit Hilfe dieser Paarung unmittelbar plausibel. Doch dies ist ein Zufall, den die Karikatur gerne aufgegriffen hat, auf den sie aber nicht angewiesen ist. Wenn sie einen als mächtig darstellen will, dann kann sie auch den kleinsten Politiker zum Kraftprotz machen und umgekehrt. So haben z.B. in den 70er Jahren etliche Darstellungen der Bundesrepublik Deutschland als ökonomischer Riese und politischer Zwerg nach Belieben mit dem Attribut Größe gespielt.

Im Eulenspiegel-Corpus des Jahres 1990 ist anhand des Motivs des doppelten Michel ein ähnliches Spiel zu beobachten. Diese Michel können als kaum unterscheidbare Zwillinge abgebildet werden, um Gleichheit und Zusammengehörigkeit zu betonen, doch das kommt nur in Ausnahmefällen vor. Die Regel ist die Betonung von Unterschieden. Dazu gehört z.B. die Herstellung der vom Paar Kohl-de Maizière bekannten Proportionen, die hier aber nicht als mimetisch, sondern nur als rein signifikant aufgefasst werden kann. Sofern nicht mit Hilfe der Größenverhältnisse ein West-Ost- Gefälle in Sachen Kraft, Macht, Wohlstand inszeniert wird, wird dies mit anderen Attributen bewerkstelligt. Im Falle einer Zeichnung von P.Dittrich (51/90: 21) sind es medizinische und (in ähnlichem Zusammenhang bereits erwähnte) vestimentäre Details, die diese Unterschiedlichkeit suggerieren: schlechte Zähne, schlechter Teint, verdrehte Augen und ärmliche Kleidung lassen den Ost-Michel als Zwilling, der eine andere Entwicklung genommen und weniger Glück im Leben gehabt hat, erscheinen. Mehr sei zu diesem bereits mehrfach (auch von mir) 2 untersuchten Motiv des doppelten Michel an dieser Stelle nicht gesagt.

Als letztes Motiv der Michel-Reihe sei auf Mischformen verwiesen, also z.B. auf Darstellungen, in denen reale Personen, etwa Helmut Kohl, gemeinsam mit der allegorischen Figur auftreten. Sei es bei Muzeniek, wo Dr. med. Kohl einem widerspenstigen Michel einen Löffel DM einflößt (29/90: 1), sei es bei Barbara Henniger, die den guten Onkel Helmut zeigt, wie er den auf einer Schaukel sitzenden Klein-Michel (mit dem bereits erwähnten geflickten Loch in der Mütze) freundlich anschubst. Bevor dieser Michel sich mit seiner Schaukel in die Lüfte erheben und der teilweise hinter einem Berg verborgenen Sonne entgegenfliegen kann, hat er freilich eine richtiggehende Kloake zu durchqueren. « Der Aufschwung ist in Sicht » – so der ironische Kommentar im Bild zum Bild (45/90: 1).

Derartige Inszenierungen stehen – nach fast totaler Verbannung aus dem Zeichenrepertoire seit den 50er Jahren – in bemerkenswerter Kontinuität zur alten Michel-Tradition. Klein, harmlos, erpressbar und ausbeutbar, ein ideales Opfer für alle, die nach Macht streben und mit ihr umgehen können – so stellen ostdeutsche Zeichner in allen möglichen Varianten ihre Landsleute dar.

Fortsetzung einer nationalen Tradition – und sei es eine visuelle –, das kann die Sache von Titanic nach allem oben Gesagten nicht sein. Ist es auch nicht. Die von der westdeutschen Tages- und Wochenpresse nicht minder als in der Ost-Presse geliebten Kohl-de Maizière-Paare, die Michels u. dgl. mehr müssen bei Titanic leider draußen bleiben. Hier wird mit anderen Mitteln operiert. Mit welchen, das sei an Hand von zwei m.E. repräsentativen Beispielen erläutert, die beide keinerlei Bezug auf Politik nehmen, sondern gewissermaßen Szenen aus dem Alltag zum Thema haben. Der Ostdeutsche « als solcher » ist hier (scheinbar) das Thema. « Normale » Bürger werden abgebildet, wobei die Normalität hier allerdings eher etwas mit intellektueller Unterdurchschnittlichkeit zu tun hat.

Auf dem ersten Bild, dem Titelblatt der Juli-Nummer, ist ein Mann zu sehen, der mit seinem Unterhemd und seinen Filzpantoffeln voll und ganz einemverbreiteten « Ossi »-Stereotyp entspricht 3. Er klopft wütend auf den Deckel einer Waschmaschine, die offenbar kein vernünftiges Fernsehbild zeigen will, obwohl doch eine Zimmerantenne auf der Maschine steht und seine Frau eifrig mit der Fernbedienung hantiert! Mit seiner Aufregung über das Versagen der (offenbar westlichen) Technik, decouvriert sich der Mann als mental offenbar zurückgebliebener und dabei aggressiver Hinterwäldler. Die Frau, im Sessel sitzend, entspricht eher dem von westdeutschen Konser­vativen propagierten Typ des Heimchens am Herd als der DDR-Realität. Hier wird nicht Realität zu ihrer besseren Kenntlichmachung überzeichnet, hier geht es um die mise en perspective eines Ossi-Klischees; der Bezugspunkt der Zeichnung liegt nicht so sehr im Osten und in re, sondern viel mehr im Westen – und in mente. Die Legende, die ganz auf die primitivsten Bestandteile kleinbürgerlicher Ossiphobie abhebt, unterstreicht dies deutlich. Sie lautet:
« D-Mark im Osten – Schade um das schöne Geld! »

Beispiel 2, das auch als Poster und Postkarte weite Verbreitung fand (und mir in letzterer Form als « Tit-KB-1 » vorliegt; Abb. 3), verfährt ähnlich, geht aber noch weiter. Das im Original farbige Blatt zeigt vor rosafarbenem Hintergrund ein rothaariges Mädchen mit rosigen Wangen, mit einer Jeans-Jacke gekleidet, das uns in entwaffnender Naivität freundlich frontal anlächelt. In der Hand hält sie eine Gurke, die wie eine Banane geschält wurde. (Schon wieder eine Banane, trotzdem kann auf diesen Topos an dieser Stelle leider nicht eingangen werden.) Daneben die Inschrift: « Zonen-Gaby im Glück (BRD): Meine erste Banane ». Die Grundstruktur ist identisch: Östliche Unbedarftheit wird mit Hilfe mehrerer sich wechselseitig verstärkender Codes bedeutet: Physiognomie, Kleidung und Frisur, vor allem aber das Handeln der abgebildeten Personen, verweisen in Bildern dieses Typs auf eine Population von wenig intelligenten Wesen, die in allen Bereichen, von der Technik bis hin zu den Südfrüchten, ständig neue Beweise unvorstellbarer Ahnungslosigkeit und Rückständigkeit liefern. Dass hier mit Klischees gespielt wird, ergibt sich aus einem « plastischen » (im Unterschied zu den ikonographischen) Zeichen, nämlich der Typographie. Diese ordnet die verbale Aussage unmissverstän­dlich der Boulevardpresse zu, der großen Klischee-Produzentin unserer Zeit. Auch die Diktion verweist auf diese « Quelle », indem hier bei aller Kürze mindestens drei für diese charakteristische Elemente verwendet werden:

1. vertrauliche Anrede der Abgebildeten (« Zonen-Gaby »);

2. Zitat einer Selbst-Aussage;

3. Verwendung einer superlativischen Wendung (« erste Banane »)

1. und 2. erzeugen Nähe, Vertrautheit und Pseudo-Authentizität, 3. erweckt den Eindruck des Originellen, fast Sensationellen. Durch den Bezug auf die Boulevardpresse wird die (scheinbare) Denunziation des anderen als Auseinandersetzung mit bestimmten Vorstellungen vom anderen lesbar.

Wenn man die Lesart herkömmlicher Satire, die – jedenfalls häufig – Reales übertreibt, bereits als « lecture au deuxième degré » bezeichnet, dann ist hier von einem zusätzlichen Grad, von einer dritte Lektüre-Ebene zu reden. Nach der rein referentiellen ersten Ebene wäre das von der Zeichnung erzeugte Bild vom anderen die zweite Ebene. Die dritte Ebene ist die der mise en perspective dieses Bildes, die durch die distanzierende Wirkung des Lachens geförderte Auseinandersetzung mit dem Klischee à la BILD-Zeitung .

In diesem betont spielerischen, nicht personalisierenden, in diesem antididaktischen, nicht weltverbessernden Umgang mit den anderen Deutschen, in dieser sich gerne ins Groteske steigernden outrance dürfte der fundamentale Unterschied zwischen Titanic– und Eulenspiegel-Satire liegen. Der Eulenspiegel geht nicht unbedingt gegen die selben Miss-Stände an, wie er das (unter zwei Namen) gut vierzig Jahre lang getan hat, aber die Kategorie des Anzuprangernden (Zustand oder Person) ist für ihn noch relevant. Den Frankfurtern ist das klar umrissene Feindbild abhanden gekommen, sie können nur noch in einem universalen Lachzusammenhang, einer satire tous azimuths die Aporien der heutigen Gesellschaft und der eigenen Existenz in ihr erfassen. Das Nationale ist eine der Dimensionen, mit denen man sich auseinandersetzt, aber weniger durch konkrete Aggression als durch Übersteigerung ins Inadäquate, Lächerliche, Groteske. Nicht Aggression, sondern Subversion, nicht Destruktion, sondern dérision dürften die adäquaten zentralen Begriffe für diese Satire sein – Elemente, die in der ostdeutschen Lachkultur eine weit geringere Rolle spielen.

Digression-Konklusion

Immerhin Ansätze für nicht unmittelbar aggressive, gleichwohl effiziente Ridikülisierungsstrategien konnten wir beim Umgang des Eulenspiegel mit dem Bundesadler erkennen. Doch auch auf dem Feld ostdeutscher Selbstkritik weisen etliche Eulenspiegel-Zeichner bemerkenswerte Neigungen zur Subver­sion auf. Zu denken ist dabei m.E. insbesondere an einige Zeichnungen, in denen DDR-Zeichner den Michel aufgeben und den Gartenzwerg zum Emblem für ihre eigene Identität oder zumindest für die von Teilen der östlichen Bevölkerung erheben. Um nur einige von ihnen knapp zu skizzieren: In Nummer 16/90: 3 stellt eine männliche Person (Politiker oder Journalist?) einem Gartenzwerg die Frage: « Möchten Sie Minister werden? »; in Nummer 19/90: 3 wird einem Gartenzwerg ein Transparent mit der Inschrift « Es lebe die Revolution » in die Hand gedrückt. Besonders gerne (und m.E. besonders überzeugend) widmet sich Peter Sottmeier diesem Motiv. Vielleicht am sprechendsten sein Titelblatt für den Eulenspiegel 31/90, das uns auch wieder zu einem nunmehr vertrauten Motiv zurückführt: Ein Gartenzwerg auf grünem (Schrebergarten-) Rasen, die bekannte – gut – geflickte Fahne, allerdings in zerschlissenem Zustand, stolz aufgepflanzt und mit der linken haltend, während er die rechte die Hand zum V-Zeichen (V wie « victory ») erhebt. Der Triumph des Kleinbürgers wird hier sinnfällig; m.E. wird dieser von Sottmeier mit Hilfe des V-Zeichens sogar zum Sieger des Zweiten Weltkriegs erklärt, ein historisches skandalon. Es kam also bereits 1990 durchaus auch subtile Subversion aus dem Osten. Von dieser Sorte Lachkultur brauchen wir mehr – nicht nur im Osten, sondern flächendeckend. Landesweit. Es sei denn, wir machen uns allen Unernstes, dessen wir fähig sind, das von Chlodwig Poth stammende Titanic-Motto zu eigen, das allmonatlich das Impressum ziert : ‘Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag’.

Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (O.)
 
 
Résumé / Abstract :
 

Der Fall der Mauer bot den Deutschen in Ost und West die Chance nunmehr zusammen zu lachen. Tatsächlich stellte sich das gemeinsame Lachen keineswegs von selbst ein. Eine Untersuchung des 1990er Jahrgangs der beiden Flaggschiffe deutscher Satire, des Ost-Berliner Eulenspiegel und der Frankfurter Titanic lässt die Umrisse zweier distinkter Lachkulturen erkennen. Von Titanic lernen heißt lachen lernen, scheinen die einen zu meinen, während die anderen sich hartnäckig weigern, in die Neue Frankfurter Schule zu gehen und auf ihrer Satire-Identität beharren. Das Zusammenwachsen durch Zusammen-Lachen ist eher ein Zukunftsprogramm; einige Keime entwickeln sich immerhin schon seit 1990.

Der schriftliche Text hat absichtlich einige Charakteristika des mündlichen Kolloquiumsbeitrags beibehalten.

 

Once the wall tear down, the Germans were basicly able to « laugh and not to make cold war » together. In fact, analyzing the Eastern Eulenspiegel and the Western Titanic we observe rather the subsistance of two different satiric cultures. The sense of humour is not necessarily a common sense after a 40years-lasting separation.
The written text maintains intentionally some features of the oral contribution to a colloquium it was initially.

 

Après la chute du mur, les Allemands auraient eu, en principe, de nouveau l’occasion de rire ensemble. Or, après 40 ans de séparation cela n’allait pas de soi. L’étude du millésime 1990 des deux revues satiriques phares, l’Eulenspiegel de l’Est et le très occidental Titanic, fait apparaître la subsistance d’un rideau ou d’un mur du rire. Si le rire est le propre de l’homme, il n’est pas, pour autant, la chose la mieux partagée du monde germanique.
J’ai gardé volontairement, dans le texte qui précède, quelques traits de l’exposé oral qu’il fut à l’origine.



1 Der Gipfel politisch funktionalisierter Skatologie – allerdings gänzlich unsymbolisch und ohne schwarz-rot-goldenen Anstrich – wurde freilich bereits im Januar 1990 erreicht. Titanic gelang es, eine Reiser-Zeichnung zum Thema Zoophilie zum Zwecke der denkbar despektierlichen Illustration der (deutschen) Vereinigung umzufunktionieren und durch die Hinzufügung von Text sogar noch zu verschärfen. Reisers Bild wird zum ebenso kruden wie satirisch perfekten Spiel mit Vögeln, wenn dem Blatt, auf dem ein Badeurlauber mit Schwimmflossen an den Füßen es mit einem Schwimmvogel treibt, der Titel « Die Ente des Jahres: Wieder-Vereinigung » hinzugefügt und dem Tier zudem der Satz « Ich will sofort Rechtsanwalt Vogel sprechen! » in den Mund gelegt werden, womit – dies sei für die weniger mit deutscher Politik Vertrauten hinzugefügt – auf den ostdeutschen Advokaten und innerdeutschen Vermittler in Ausreiseangelegenheiten angespielt wird.

2 Vgl. insbesondere das Kapitel « ‘Wessi’ und ‘Ossi’ – der doppelte Michel in der ZEIT der Wiedervereinigung » in: T. Szarota, Der deutsche Michel: Geschichte eines nationalen Symbols und Autostereotyps, Osnabrück: fibre 1998: 301-317; vgl. auch W. Fekl, « Nationale Allegorien in der politischen Karikatur […] », in M. Böhler et al. (Hgg.), Trilateraler Forschungssschwerpunkt « Differenzierung und Integration »: Zürcher Gesamtsymposium 1995, Zürich: Deutsches Seminar der Universität Zürich 1996.

3 Wer über einen Katalog der « Ossi »-Stereotypie verfügen möchte, greife zu dem im übrigen unsäglichen Buch Neuland von L. Endlich (Berlin: Transit 1999) – das übrigens angeblich partiell als Satire verstanden werden soll. Wofür dieser Begriff nicht alles herhalten muss!