Meister der komischen Kunst


W.P. Fahrenberg (Hrsg.), Meister der komischen Kunst. Die Bibliothek. Herausgegeben von WP Fahrenberg. München, Verlag Antje Kunstmann, 2011 ss.
Rezension von Peter Ronge

 

 

Zunächst einige Anmerkungen zu der von WP Fahrenberg bei Kunstmann herausgegebenen Buchreihe, deren Prospekte für ihr künftig zugedachte Titel bisher etwa 40 Namen nennen. Die Bibliothek (= O.-Ton Prospekt, p. 2) besteht aus sehr ansehnlichen Büchern in stabilen Kartoneinbänden mit Fadenheftung und von Band zu Band wechselndem farbigem Vorsatzpapier. Aber: sie kennen weder Inhalts- noch Quellen- oder Mitarbeiterverzeichnisse; auch Datierungen sind Zufallsfunde. Fahrenbergs Text auf p. 4 eines jeden Bandes lautet: Meister der komischen Kunst stellt die bedeutendsten deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstler vor, die mit Zeichenstift, Pinsel und Wortmächtigkeit das Zeitgeschehen und unserere Gesellschaft seit etwa 1950 begleiten, erläutern und das Komische mit gebotener Ernsthaftigkeit aufzeichnen.

 

Im Gegensatz zu der nach 26 anthologischen Bänden leider eingestellten, dankenswerterweise ohne zeitliche und nationale Grenzen angelegten Reihe Klassiker der Karikaturdes (damals noch Ost-)Berliner Eulenspiegel-Verlages (die von mehreren BRD-Verlagen vor der Wende teilweise nachgedruckt wurde und wegen ihres gesamtdeutschen Erfolges sicherlich Vorbild des neuen Projektes sein dürfte) wollen sich Verlag und Herausgeber heute auf deutschsprachige Bild– aber auch Wortkünstler/innen seit etwa 1950 beschränken. Diese Öffnung auf die komische Dichtung hin geht wohl fraglos auf die ebenso erstaunlichen wie erfolgreichen Mehrfachbegabungen aller Mitglieder der sogenannten Neuen Frankfurter Schule, also der Herren F. W. Bernstein (d.i. Fritz Weigle), Robert Gernhardt, Bernd Pfarr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und Friedrich Karl Waechter nebst der nicht zu diesem engeren Zirkel gehörenden Marie Marcks zurück, die im Laufe ihrer beruflichen Laufbahnen mannigfache Beweise dafür ablieferten und – soweit noch am Leben – auch heute noch abliefern. Es mag ein solcher, muß aber kein Zufall sein, daß die just diese Künstler betreffenden Bände auch schon alle vorliegen. Allerdings ist die resolut entpolitisierte Darstellung in früheren Jahren politisch wie sozial sehr engagiert gewesener Künstler/innen in meinen Augen eine skandalöse Art der Zensur bzw. Verfälschung des Lebenswerks und der satirischen, ebenso aber auch der politischen Rolle der Betreffenden (v.a. natürlich der von Todes wegen gegen derlei posthume Manipulation Wehrlosen) in ihrer Zeitgeschichte. Für die hierüber Genannten waren der nicht eben skrupulöse Konrad Adenauer, sein schlimmer, leider nicht in Nürnberg abgeurteilter Nazijurist und jahrelanger Einflüsterer Globke und der Nazi seit 1933 und spätere Kanzler Kiesinger nebst all deren von militanten und demokratiefeindlichen Altnazis gegründeten und bekanntlich bis heute undurchschaubar rechtslastigen Geheimdiensten wohl keine Garanten für ein neues demokratisches (damals: West-)Deutschland, das mit aufzubauen wesentlicher Teil ihrer publizistischen Arbeit und Mühen war. Diese zentrale Dimension der Arbeit der wichtigsten Künstler/innengeneration nach 1945 hinwegzumanipulieren ist empörend und könnte Indiz für mangelnde Sachkompetenz des Herausgebers und der verantwortlichen Mitarbeiter des Verlages sein. Herrn Fahrenberg Sachkompetenz abzusprechen wäre indes grotesk, aber meine Befürchtung, daß er sich hier aus undurchschaubaren, vermutlich aber kommerziellen Gründen einer Publikationsbedingung des Verlages unterworfen hat, beschädigt ihn und die ganze Reihe m. E’.s mindestens ebenso. Von den noch lebenden Betroffenen wird ihre Verfälschung offenbar sogar toleriert, wie ich unten nur am Beispiel Hans Traxlers zeigen möchte, obwohl sich die Veröffentlichungen mindestens von Marie Marcks, Chlodwig Poth, F. W. Bernstein und Friedrich Karl Waechter, in geringerem Maße auch Robert Gernhardt in Pardon der 60-70er Jahre bis hin zur Titanic der 80er für diesen Nachweis genauso eignen würden.

 

Obwohl die Eröffnung der Reihe unter der politisch-sozialen Manipulation des Gesamtwerks der dargestellten Künstler/innen der älteren Generation – möglicherweise zugunsten eines editorischen Konzepts « lustige Mitbringsel » – leidet, sind alle Bände technisch gut und ästhetisch schön gestaltet. Ihre Rücken zeigen die von Band zu Band wechselnde Farbe der Vorsatzblätter. Die Titelseiten mit einem leider oft anonymen Foto als Frontispiz und der oben zitierte Text auf Seite 4 aller Bände sind streng analog konzipiert. Leider wurden aber auch alle nur schwer verständlichen Mängel in sämtliche Bände übernommen: Auf dem Titelblatt, aber ebenso auf dem Buchrücken und beiden Buchdeckeln erscheint (für demenzbedroht vergeßliche Leser/innen?) immer wieder der Reihentitel, unmittelbar gefolgt von (warum wohl stets doppelten?) Autorennamen (gedruckt und als Signatur) sowie dem Verlagsnamen. Dafür aber in keinem einzigen Band ein Inhaltsverzeichnis, sodaß die von wechselnden Autoren gelieferten Einführungstexte und deren Autoren nur durch Blättern gefunden werden können. Auch die überall vorhandene Rubrik Leben und Werk, welche werksbibliografische, biografische und Ausstellungsdaten auf attraktive Weise mit biografisch gedachten Fotos verknüpft, muß durch Blättern gesucht und gefunden werden. Besonders ärgerlich ist auch, daß kein Bild oder Gedicht der gesamten Reihe vom Herausgeber ordentlich datiert und mit Quellenangabe (etwa des Erstdrucks) versehen wird, was chronologische Orientierung innerhalb des Gesamtwerks wie korrektes wissenschaftliches Zitieren von Funden der gesamten Buchreihe von vornherein unterbindet. Schade, weil die hübsche und gut gedruckte Reihe auf diese Weise zum bloßen Geschenkartikel verkommt, womit auch die meist kompetenten und zudem amüsanten Texte der Sachbearbeiter unter Wert verhökert werden. Diese m. E’.s krassen editorischen Mängel und die oben dargelegten politisch-sozialen Manipulationen der Buchreihe müßten dringend und sehr bald korrigiert werden, damit Herausgeber und Verlag Kennern nicht als Dilettantenklüngel in Erinnerung bleiben. Wie man musterhaft die Werks- und Publikationsgeschichte der Karikatur verwandter einzelner Bildwerke dokumentieren kann, mag man folgendem Katalog entnehmen: [Roland] Topor, Dessins Paniques. [Catalogue d’exposition du Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg du 18 juin au 5 septembre 2004, dirigé par Christian Derouet et Laure Lane. Paris / Strasbourg,] Hazan / Les Musées de Strasbourg, [2004 / 2009], 230 pp. [Einband sowie Vorsatzblätter verso+recto illustriert; ISBN 2 90183 384 5 und 2 85025 940 3. 45,00 €]

 

Per Internet-Recherche vom 01. 04. 2013 waren an diesem Tag alphabetisch geordnet folgende 17 Titel der Reihe erschienen: Beck, Bernstein (= Fritz Weigle), Gernhardt, Glück, Greser & Lenz, Haderer, Henniger, Hoppmann, Hurzlmeier, Jamiri (= Jan-Michael Richter), Kahl, Marcks, Pfarr, Poth, Rauschenbach, Traxler und Waechter. Nachfolgend nun Kurzbesprechungen einiger der erschienenen 17 Titel, die der Rezensent übrigens alle zum Ladenpreis im Buchhandel erworben hat.

 

Meister der komischen Kunst – Friedrich Karl Waechter. Waechter. [Einf.-Essay: Roger Willemsen, F. K. Waechter, pp. 6-12; Man stinkt immer gegen das an, was einen knechtet (Interview) von Roland Falk (2001), pp. 34-41; Leben und Werk, pp. 103-106; Publikationen (in Auswahl) pp. 107-109; Preise / Auszeichnungen (Auswahl) p. 109; Theaterstücke (in Auswahl) p. 109] München, Verlag Antje Kunstmann, 2011, 112 pp.   ISBN 978-3-88897-721-3 16,00 €

 

Auf etwa 90 Bildseiten entfaltet Fahrenberg ein recht vollständiges Profil der vielfältigen bildnerischen Techniken Waechters: Zeichnungen mit schwarzer und farbiger Tusche oder Bleistift auf weißen oder farbigen Untergründen, teils mittels Schraffur und / oder Aquarell mit flächigen Anteilen ausgestattet. Bildergeschichten mit oder ohne ggfs. gereimten oder in Sprechblasen untergebrachten Begleittexte können 2 (9, 14, 16, 28, 29, 85), 3 (66, 77, 88), 4 (13, 75), 6 (46, 82), 7 (66), 8 (64), 11 (71), 13 (19) oder – auf 4 Seiten (48-51) verteilt – sogar 16 Einzelbilder aufweisen. Der herrliche Tango mit ca. 40 rosa gekleideten menschlichen Tänzerinnen und ihren Gorilla-Männern im Naturpelz ist auf die beiden Seiten 52-53 verteilt. Neben den Zeichnungen und Aquarellen gibt es ein paar Collagen wie den klassischen mit Goldprofil angelegten Bilderrahmen (91), unter dem ein Zettel handschriftlich erläutert, daß die ca. 400 eingerahmten weißen Zettel anstelle des Lieblingsbildes eines verhaßten Onkels dessen mit der Bildseite aufgeklebte Briefmarkensammlung gewesen sei. Eine oben beschriftete Fotografie zeigt neben einem unwirtlichen Ort – mit Wellblechgarage und alter Öltonne samt Gebüsch dahinter – im Vordergrund an einer Wäscheleine von einem abgewiesenen Liebhaber aufgehängt: Mutters Strumpfhose mit Beton ausgegossen (47). Die (92) passend gelegten beiden Teile der Scheibe eines Baumstamms zeigen die darüber als Titel genannte Uhrzeit an: Fünfzehn Uhr vierzig. Auf den braun-rosa gehaltenen Resten eines alten Bucheinbands liegt (95) ein von Waechter signiertes weißes Blatt m. d. T.: Der kreative Pinsel. Sichtbar ist allerdings das mit breitem Strich gezogene Schema einer Birne, wie sie die Frankfurter Kumpane – v.a. jedoch Traxler / Knorr mit einem ganzen Buch aus dem französischen politischen Repertoire des 19. Jahrhunderts für Helmut Kohl reaktiviert hatten. Dies wäre dann eine Anspielung auf die ansonsten auch hier resolut ausgesparten politischen Zeichnungen im Auswahlband, der mit herrlichen kulturkritischen Blättern glänzt wie dem Löwen S. Freud, der mich später fraß (22) oder dem – Gottesdienst betitelten – Blatt (86) mit einem im Gewölk (hohn-?)lachenden Adorno, unter dem auf einem Gerüst sein Adept auf den Knieen rutscht. Auf dem parodistischen Blatt (88) Eine Rose … ist eine Rose … ist eine Rose dementieren die Zeichnungen der drei Reimwörter Rose – Hose – Dose ihren Text. The Biggest Splash (93) verfremdet schön befremdlich einen überschätzten amerikanischen Meister der Malerei des 20. Jahrhunderts. Das politisch und moralisch horrend unkorrekte, stilistisch ein wenig Poth’sche, herrliche Blatt Am Abend hilft die Jägerin dem Jäger in die Negerin ist, Fahrenberg sei gedankt, nicht als zu anstößig beiseitegelassen worden. Die von Poth geliebte Kringeltechnik verirrt sich auch gelegentlich in Waechters Blätter.
Thematisch und motivisch ist von 13 bis 41 allerlei wildes und zahmes Getier versammelt, ab 42 bis gegen Ende dominieren menschliche, mithin oft erotisch-sexuelle, aber – gegen Ende – auch Todesmotive wie (100) die Querung des Styx u. d. T.: « Is egal wohin, Hauptsache is was los. » Die letzte Skizze zeigt einen Menschen rücklings im Narrengewand vor der Reling der Titanic und mit Blick auf einen Eisberg, der den Grabspruch des Magisters Martinus von Bi[e]berach zu Heilbronn aus dem Jahr 1498 zitiert.
Roger Willemsen hat in seinem Essay kluge und sensible Dinge geschrieben, die in seiner anfangs und am Ende zyklisch geäußerten Bewunderung für Waechters physische Schönheit gipfeln, manchen wichtigen Gedanken aber erst beim zweiten oder dritten Anlauf aus dem manchmal etwas selbstverliebt formulierten Text freigeben. Handfester und für mit dem Künstler weniger vertraute Leser möglicherweise informativer ist das 2001 für die Schweizer Sonntagszeitung geführte Interview mit Roland Falk m. d. T.: Man stinkt immer gegen das an, was einen knechtet.
Ein schönes, dokumentarisch und wissenschaftlich leider nicht verwendbares Bilder- und Erinnerungsbuch an diesen ganz großen Zeichenkünstler.

Meister der komischen Kunst – Chlodwig Poth. Chlodwig Poth. [Einf.’-Essay: Ottfried Fischer, Über Chlodwig Poth, pp. 6-10; Anonym? / WP Fahrenberg?, Wie war das damals, Herr Poth? Gesammelte Antworten – eine Collage… (aus neun p. 41 genannten Quellen), pp. 36-41; Leben und Werk, pp. 101 s. Ausstellungen (Auswahl), p. 102; Publikationen (Auswahl) pp. 102+104] München, Antje Kunstmann, 2011, 112 pp. ISBN 978-3-88897-716-9 16,00 €

 

Der Bühnen- und Filmkomiker wie auch Kabarettist Ottfried Fischer teilt seinen Essay in 7 numerierte Abschnitte, deren erster mit folgendem liebenswerten Poth-Porträt endet (p. 6): Optisch füglich beschreibbar als die auffälligste Mischung aus Karl Marx und Gottvater, Zonenkönig und Befreiungstheologe, Albert Einstein und dem Chef der Kelly-Familie sowie APO-Opa vom Kirchentag, kritischer Arbeitskreis Glaube und Heimat, war er in seinem Fach einer der Allergrößten. Der Zeichner, Karikaturist, Romancier, Satiriker, das Multitalent und Gesamtkunstwerk Chlodwig Poth. Im 2. Abschnitt erzählt er eine Szene aus dem rammelvollen Münchener Szenelokal Hai, wo Poth bei versagender Projektionsanlage seine Zeichnungen […] vorträgt [sic! und das…] unter tosendem Applaus [und…] unter sensationellem Verzicht des Protagonisten auf das Zeichnen – seine Hauptbegabung. So funktioniert Genie [… p.7]. Teil 3 gilt dem Vergessen-Werden, das Poth wie Qualtinger und Wilhelm Busch nun auch drohe: Uni Leipzig, 82 Prozent der Studenten kennen Wilhelm Busch nicht! (p. 7). Teil 4 verdammt Comedy [als] die Blondine des Kabaretts! (p. 8). Teil 5 erinnert [d]ie wilden Sechziger, als Fischer 15 war und Pardon mit Poths und seiner Freunde Arbeiten eine Schlüsselfunktion hatte […] zur wilden Außenwelt, zum Großstadtdschungel (p. 8). Teil 6 gilt der wegen ihres Zynismus weniger geschätzten Titanic, welchen Poth zwar auch, aber nur als Gewürz (p. 9) verwende. Teil 7 gilt dem Alterswerk […] Last Exit Sossenheim (p. 9 s.) mit einer Haßliebe zum fragwürdigen Idyll der Vorstadt (p. 9). Die anonyme Collage (pp. 36-41) ist eine dilettantisch-überflüssige Reihung interessanter Aussagen des Meisters. Die Bildbestände beginnen (p.12) mit Poths ein-Mann-Schüler-Zeitschrift Der Igel von 1947, einigen frühen, an Steinberg und Searle gemahnenden Blättern der fünfziger Jahre unter dem Pseudonym Claude (pp. 13 s.), denen dann eine Auswahl aus Mein progressiver Alltag (pp. 18-23), das wunderbare 1. Apo-Veteranentreffen (pp. 24 s.), 4 Auftragsarbeiten für die IG-Metall (pp. 26 s.), die panische Bildergeschichte Viel Wind und nichts dahinter in 12 Bildern (pp. 28-32) und das doppelseitig-farbige Hundehassblatt mit fast 20 Hunden in den drolligsten Posen und Situationen (pp.34 s.) folgen. Zwei Frankfurter Museumsbildern (pp. 42 s.) folgt die in 9 Stücke gegliederte exhibitionistische Fernsehszene Pellenwilfried – Ein Schelmenstück (pp. 44-49) und das farbig-doppelseitige Werbeärschehassblatt, wo für achtlagiges Klopapier (pp. 50 s.) geworben wird. Den 18 durchgehend farbigen Sossenheim-Blättern (pp. 52-61+64-67+84-87) sind schwarz-weiße Geschichten in 3, 11, 8 und 6 Bildern ein- und angegliedert, ehe das doppelseitig-farbige Karneval-Hassblatt (pp. 94 s.) und ein paar Stadtschaften die Bildauswahl zugunsten von Leben und Werk (pp. 100-107) mit Fotos der Eheleute Anna und Chlodwig und Ausstellungen und Publikationen jeweils in Auswahl den schönen Band beschließen. Auch Chlodwig Poth wurde in dem ihm gewidmeten Band durch hinterhältige Zensur vieler meist doppelseitiger Blätter zur deutschen und internationalen Zeitgeschichte in Pardon und Titanic um sein politisch-soziales Lebenswerk betrogen. Als eins von vielen Blättern sei hier zitiert seine Doppelseite in Titanic 9, September 1982, pp. 16s.: Wir wollen den totalen Wirtschaftskrieg, Mit diesem Titel erinnert Poth an einen berüchtigten Goebbels-Auftritt im bombardierten Berlin. Es ziert ein Wimmelbild, auf dem sich ein MacDo-Restaurant, dessen Interessen waffenstarrende Uniformierte, Panzer und Jeep mit MG gegen eine Demo mit Nie-mehr-Hamburger-Transparent zu verteidigen haben.

 

Meister der komischen Kunst – Rudi Hurzlmeier. Hurzlmeier. [Einf.’-Essay: Michael Skasa. Über den Hurzlmeier, pp. 7-12; Anonymus / WP Fahrenberg?, Vielleicht hatte ich einen im Tee? Gespräch mit Rudi Hurzlmeier, München, 12 April 2011, pp. 50-56; Leben und Werk, p. 103; Ausstellungen (in Auswahl) p. 104; Werke (in Auswahl) pp. 106+108] München, Kunstmann, 2011, 112 pp. ISBN978-3-88897-735-0 16,00 €

 

Der 1952 geborene Autodidakt Rudi Hurzlmeier ist eine der erstaunlichsten und zugleich produktivsten Begabungen der mittleren Altersgeneration bajuwarischer Bild- und Texthumoristen. Ob er nun in altmeisterlichem Malstil Wilhelm Busch parodiert (p.6) oder weniger aufwendig (aquarellierte Feder: 8) den unumgänglichen amerikanischen Entenvogel ins Bild setzt, die je 2 Türen zweier kapellenähnlicher Toilettengebäude auf einem Strand kalauernd mit den Schildern BlindeSehende und BlondeSeehunde beschriftet oder eine rücklings sichtbare Kellnerin mit gewaltigem Hinterteil, die sich von einem Schwarzen und einem Greis verarscht (13) fühlt, weil der eine Ein Dunkles und der andere Ein Alt bei ihr bestellen: es gibt in Fahrenbergs Auswahl nur wenige Fantasiegebilde, denen Witz und Originalität ermangeln wie dem etwas bemüht komischen Bier-Cartoon Salve Gambrinus (14 s.), in dessen letztem Vierzeiler es – von Herausgeber und Verlag unbeanstandet aber grammatisch dennoch höchst bedenklich – Schwomm der Glückspilz zu den Seinen heißt (15). Allerlei Getier ist pp. 5, 6, 8 und 18 bis 29 versammelt und wird oft allzu wohlfeil humoristisch in Szene gesetzt: mal durch menschliche (Ver-)Kleidung oder « falsche » Bildunterschriften verfremdet, wie die beiden Schneeleopard und Stubentiger betitelten Hunde (22 s.), mal auch, wie der Intelligenzbestie (23 s.) getaufte kleine Hund, der auf einem roten Sofa sitzend seinen Namen mit Lesen, Seitenumblättern, Duden-Konsultieren und Mokka-Trinken zu verdienen scheint. Vermenschlichte Braunbären (26 s.), ein Huhn, das aus dem als fertiges Spiegelei hinter ihm liegenden Produkt plausibel schließt: Shit! Ich hab Fieber, eine Clownsdressur mit vier Schlangen, die im Wechsel einen Elefanten zu durchqueren scheinen (beides 28), schließlich eine Riesenschildkröte mit Eiswaffel statt Schwanz und eine vor einem Lattenzaun mit der Aufschrift Nacktzoo stehende nackte Frau, die, das Schild Storch unter einem Pfau lesend, die Sprechblase Ulkiger Name für einen Schwan über ihrem Kopf zeigt (beides p. 29). Nichts scheint verläßlich in dieser Welt voller Killermaulwürfe, Mörder-Hornissen, menschenfressender Doppel-Zyklopen, Habseligkeiten einer Verblichenen wandern [auf eigenen Beinen!] in den [bereitstehenden] Müll[-Wagen] (38). Der Erzengel Daniel frisch vom Frisör zeigt eine schwarze Katze statt Haupthaar (44) und Die Legende vom schlimmen Erdbeerfräulein zeigt (45) dieses mit seinen Erdbeerkörben, haushoch und barbusig, ein von ihr plattgetretenes Kind hinter sich auf dem Pflaster. Ein gesatteltes und gezäumtes Fleischfressendes Pferd verspeist seinen Reiter, ein anderes stürzt seine Reiterin über einen Steilhang in die tief unten brodelnde See (62 s.). Drei Dutzend rot kostümierte Reiter galoppieren, allerlei Musikinstrumente spielend, in einer verschneiten Winterlandschaft einem rosa Riesenhasen hinterher, der offenbar auf ein Großfeuer zuläuft, das eine kleine Ecke rechts oben im Bild füllt und den Titel liefert: Brennende Wintermantelfabrik (64 s.). In der 2. Hälfte des Bandes sind allerlei erotisch-sexuelle Kompositionen verteilt, von denen manche überraschen: so ein bäuchlings zwischen zwei unterschiedlich hohen Gewässern breitbeinig-sinnlich hingestrecktes Riesenweib, das mit einem weißen Hasen teils auf Tüchern liegend, das Haar ins Grün der Landschaft übergehend, einen tief unter ihm aus dem buchtartigen Gelände fahrenden Dampfer zu betrachten scheint (o. T., 58 s.). Leda mit ihrem göttlichen Schwan, der rücklings unter Decken im spießigen Hotelbett liegt, sie auf ihm, erkennbar an einem roten high-heel am rechten Fuß; ein Dutzend Schwanenfedern im Raum und am Boden deutet heftige Bewegung des nicht sichtbaren Paares an (60). Ferner kopulieren Hengst und Nashorn (66), orale Begierden stillen Mensch und Pferd (67), ruhende Riesenfrau und in seinem Bettchen Schlummernder Unhold (76). Vor blauem Himmel und auf rosarotem Textilgewölk trägt eine blond-gesichtslose Rapunzel mit bis fast zwischen die Knie gezogener Unterhose, über ihrem Geschlecht einen Tortenteller, dessen dreieckiger Belag von einer Hand mit Gabel zerteilt zu werden scheint, während die andere fremde Hand eine Kaffeetasse hält (77). In der offenen Balkontür eines lichtdurchfluteten Zimmers öffnet ein Mann seinen Bademantel, um einer Dame mit Feldstecher im Haus gegenüber seine, [Die] Sonnenuhr zu zeigen (77 s.). Nacktes jetzt weibliches Fleisch auch bei der Perlentaucherin, einer Art Hollywood-Ophelia mit lackierten Fingernägeln, auf deren Brustwarzen Frösche sitzen, während die Perlen, vielleicht Wassertropfen, lose den Hals umspielen (80), vor allem aber bei der Ankunft der Schlammcatcherinnen (82 s.), in deren rechter oberer Ecke 2 Pyramiden im Wüstensand liegen, während im Vordergrund mit viel Grün ein bekleideter Affe das Boot bewegt, auf dem 2 der 3 ineinander verschlungenen nackten Damen mit Händen ein Tortenstück und eine brennende Zigarette halten, während der Anus der Dritten einen Zuckerlöffel stützt. Rembrandts berühmtes Bild wird (84 s.) witzig in die Teile Plumpe Fälschung und Der Mann mit dem Goldhelm (ohne Mann) zerlegt. 4 dreidimensionale Werke finden sich 85-87.

 

Eine gute Darstellung dieses erstaunlich-sympathischen, von Hause aus unpolitischen, deshalb Herrn Fahrenberg und seinem Verlag nicht zensurbedürftigen Alleskönners, der freilich eine oft riskante Nähe zu populärer gezeichneter Ware offenbar bewußt in Kauf nimmt.

 

Meister der komischen Kunst – F. W. Bernstein [alias Fritz Weigle]. F. W. Bernstein. [Einf.-Essay: Vincent Klink, Was für ein Schwabe!, pp. 6-11; WP Fahrenberg, … mehr lernen! Gespräch mit F. W. Bernstein, pp. 52-59; Leben und Werk (p. 105) mit Werke (in Auswahl) pp. 106+108 sowie Auszeichnungen in Auswahl (p. 108) und 15 biogr. Fotos] München, Kunstmann, 2012, 112 pp. ISBN 978-3-88897-757-2 16,00 €

 

Das besonders gelungene Frontispiz-Foto des Augenmenschen Bernstein -leider wie fast immer ohne Quellenangabe – zeigt ihn so, wie Menschen wie der Rezensent ihn von Ausstellungseröffnungen in Hannover oder Treffen in seiner Wahlheimatstadt Berlin in Erinnerung haben mögen: mit dem intensiven Blick seine ganze Umgebung einsaugend. Der cartoonbegeisterte Stuttgarter Starkoch (mit eigener Hauszeitschrift) Vincent Klink bringt das Genie seines Freundes und schwäbischen Landsmanns Bernstein auf den Punkt: « Manometer », kaum ein Künstler kann mit weniger Strich mehr sagen. Inzwischen habe ich von F. W. Bernstein eine fette Mappe […] und auch gewisse Gedichte. […] Auch hier gilt, kaum jemand kann mit noch weniger Worten mehr sagen als F. W. Bernstein (p. 10). Diese m. E’.s sehr richtige Charakterisierung des Freundes als „Minimalist“ trifft auch für dessen fünffache Abbildung als Der Risikoch (p. 6) und eine Menge weiterer Abbildungen im Buch zu.

 

Der Band präsentiert etwa 90 – oft mehrteilige – Bilder und gerade einmal 8 Gedichte, m. E.’s eine allzu karge Auswahl aus dem so reichen poetischen Werk. Er zeigt mehrfach auch ein Dispositionsproblem mit Folgen für den Leser: Wenn der Herausgeber etwa 8 Bilder nebst 5 Zeilen Text auf eine Seite quetscht (so p. 18, ähnlich 30 s., 32, 71-73), werden Texte wie Zeichnungen wegen ihrer Winzigkeit schier unlesbar.

 

Nun zu einigen der Kunststücke Bernsteins: Die Bildcollage (57) besteht aus einem beigefarbenen Hintergrund, einem alten Schwarzweiß-Foto von Karl Marx im Sessel mit gepolsterter Lehne sowie einem leicht kitschigen blonden Engelskind auf Marx’s Schoß, von dessen linkem Arm umfangen. So formt Bernstein das Marx-Engels-Klischee zu einem hinterhältigen pädophil konnotierten Marx+Engelskind-Bild um, dessen Kitsch-Komponente durch Ironisierung gebrochen ist. Unter der warnenden Überschrift OBACHT’ TODSÜNDE! saugt (p. 43) ein weibliches Wesen mit knallroten Lippen was immer auch aus einer geschwänzten und behaarten Kanne zweideutig-sexueller Form: Die Wollutsch. Eine Federzeichnung mit der Legende: Lessing – der Leopard der Laufklärung zeigt 50 den Kopf des Literaten mit zeitgenössischer Perücke auf dem ruhenden Leib des getüpfelten Raubtiers. Die nachfolgende Seite skizziert in 3 Phasen einen auf Rasen liegenden Leser mit Buch, der haucht: Endlich … …Dostojewski……lesennn; beim 3. Wort schläft er bereits. Eine Kohleskizze m. d. T. Der Sammler zeigt (63) im Vordergrund sitzend einen fettleibigen Krawatten- und Brillenträger, hinter dem erhöht eine unbekleidet-klapperdürre Giacometti-Statue steht. Sehr gelungen auch (88-95 als letzter unter vielen Engeln des Bandes) sein Schweinengel, der sich ein recykeltes Blatt Papier mit zig Zahlen, Kringeln und Notizen teilt und so eine eigentümliche Feinstruktur erzeugt. Schon p. 5 findet sich das erste Blatt mit Galgen und Scharfrichter, denn (Titel:) Spass muss sein! und nach mehreren Blättern zu Sintflut und Weltuntergang endlich fragen (111) gleich zwei Henker den Bildbetrachter: Wie hätten sies denn gern?

 

Auch Bernstein wird politisch zensiert, weil keine seiner Foto-Text-Collagen aus Titanic übernommen oder erwähnt ist, für die ich als Beispiel Heft 8, August 1981, pp. 4 s. heranziehe: Da rastet und rostet ein magerer Geist (Vers 5), nämlich der eines wandernden Bundespräsidenten der Zeit auf dem Schützensitz einer Bundeswehrkanone (Schwarzweiß-Foto) mit den 1½ Schlußversen: Und er ist die Attraktion / Im Freilichtmuseum von Iserlohn.

 

Dieser Künstler handhabt die vielen Register seiner Wort- und Bildsprachen mit virtuoser Freiheit und einem immer resolut hintergründigen Humor. Mit Fug und Recht bekam er 2011 den Deutschen Karikaturenpreis für sein Lebenswerk. Er gehört mit Hans Traxler zu den letzten noch lebenden komischen Doppelbegabungen der ersten vom Herausgeber Fahrenberg anvisierten Generation. Seinen 75. Geburtstag am 4. März 2013 hat die gesamtdeutsche Presse ihren Lesern trotz dpa-Meldung merkwürdig diskret oder sogar verspätet (Süddeutsche Zeitung, 5. 3., p. 1) zur Kenntnis gebracht.

 

Meister der komischen Kunst – Frank Hoppmann. Hoppmann. [Einf.-Essay: Martin Sonntag: Der legitime Nachfolger, pp. 6-9; Frank Hoppmann, Eine Geburt und das ständige Fliegenlernen, pp. 54-60; Leben und Werk, p. 105; Auszeichnungen (in Auswahl), p. 106; Ausstellungen (in Auswahl) pp. 106+108, sowie Familienfotos, pp. 107+109 s.] [München] A. Kunstmann, 2012, 112 pp.   ISBN 978-3-88897-787-9   16,00 €  

 

Dieser hochbegabte, noch keine 40 Jahre alte Zeichenprofi wird in Martin Sonntags – des Geschäftsführers der Kasseler Caricatura – Text für gleich zwei ältere Zunftgenossen als Der legitime Nachfolger bezeichnet. Einmal und schon 2007 vom und für den Meister F. W. Bernstein selbst (p. 6) und dann durch die Chefin des Strasbourger [sic!] Musée Tomi Ungerer Thérèse Willer: »Er ist der legitime Nachfolger von Tomi Ungerer.« Sonntag fügt sodann spaßeshalber sogar noch […] Janssen, Flora, Sempé, Grosz, Dix und Sieber […] hinzu (pp. 8 s.).

 

Der Band zeigt etwa 85 Abbildungen, die meist zweidimensionale Bild-Vorlagen reproduzieren, denn nur vier dreidimensionale Werke finden sich 100-103 abgebildet. Was tatsächlich an Bernstein und Ungerer gemahnt, ist die bravouröse Vielfalt der bildnerischen Techniken und die Perfektion ihrer Anwendung auf sehr unterschiedlichen Trägermedien. Rund 20 « reine » Federzeichnungen mit vielen stilistischen Varianten durchziehen das Buch, viele weitere haben zusätzlich aquarellierte oder sonstwie kolorierte Anteile, wie etwa der kackende Hühnervogel mit Eulenspiegelkopf und -kappe (13) oder der Herzschraffur betitelte Altmännerkopf (35), der aus hunderten teils farbigen Mini-Herzen geformt ist. In Mit Brüsten brüsten (23) formt der Unterkiefer eines gewichtigen Männleins isomorph und titelkonform die üppige Brust seiner Begleiterin nach. Weniger gelungen die flächigen Einfärbungen der Grotesken 18-20. Dieser Künstler hat es – besonders in Fahrenbergs Auswahl – mit humanoïden Tieren: so das bereits erwähnte Huhn von 2007 mit Eulenspiegelkopf und Schellenkappe, sein Hunter Bund mit buschigem bunten Schwanz von 2012 steht in zwei lila Stiefeln und mit Zigarre im Hundemaul aufrecht und pinkelt vor sich auf den Boden (14). Die bajuwarischen Esel mit Edelzigarren in ihren Händen[!] sitzen (15) mit ihren Eselsköpfen und Bierhumpen dem Betrachter gegenüber und rufen aus: I BIN A ESL / I AH ! Eine unorthodoxe Krippenszene (27) zeigt den Esel auf einem Hocker mit Fernsteuerung für die Glotze hinter ihm; neben ihm ein Eulenspiegel-Baby mit blauroter Narrenkappe statt Christkind in der Krippe; der Ochse ist durch einen kostümierten Gockel mit Brille und Krawatte ersetzt. Feine Herren von 2008 ist eine Doppelseite (36 s.) mit 5 oder 6 Schweineköpfen in schicken Anzügen und Krawatten, denen noch 10 weitere Schweinderln-Seiten folgen. Eine davon, Kreuzung von 2008 (39), bietet einen Schweinekopf am Leib einer Fliege, dem zweiten « Lieblingstier », von dem der Band weitere 10 Bilder und Hoppmanns autobiografische Erläuterungen zu seiner Affinität (58-60) bietet. Stupend ist aber auch die Erkennbarkeit bzw. « Ähnlichkeit » all der grotesken Karikaturen von Politikern wie J. Fischer, H. Kohl, A. Merkel, 10 Bundespräsidenten, ferner 6 Komponisten, der Schauspieler K. Kinski und H. Albers, der bildenden Künstler und Musiker Beuys, Warhol (auch Cover vorn), Ungerer, Picasso, E. Presley, J. Cash und E. A. Poe (62-90), nicht zu vergessen ein (inzwischen durch Rücktritt und Neuwahl ersetzter) päpstlicher Gartenzwerg mit Fliegenklatsche (29). Von diesem großen Könner dürfen die Liebhaber von Karikatur und Cartoon mit Sicherheit noch viel Gutes erwarten.

 

Meister der komischen Kunst – Hans Traxler. Traxler [Hans Traxler, Bernd Eilert u.a.:] In Sachen Gott vs. Hans Traxler, pp. 5-17; Danksagung anstelle einer Biografie, pp. 98 s.; Das plastische Werk (vollständig), pp. 100-105; Werke (in Auswahl), pp. 106 s.; [Buch]Illustrationen / Herausgeberschaft / Film / Theater / Auszeichnungen (in Auswahl), p. 106; [40] Illustrationen für Buchumschläge und Magazin-Titelblätter von 1978-2012, pp. 108 s.; Das Atelier, pp. 110 s. [München], Antje Kunstmann, 2012, 112 pp. ISBN 978-3-88897-786-2 16,00 €

 

Der Prozeß des Künstlers vor dem Jüngsten Gericht ist witzig angelegt, noch witziger und v. a. schöner sind allerdings seine extra dafür geschaffenen Illustrationen (5, 6, 9, 11, 13, 15, 17) mit ihren Zitaten und Anspielungen. Besonders böse das Lichtenberg-Zitat (15) unter dem Thron Papst Johannes-Pauls: « Mit größerer Majestät hat noch nie ein Verstand stillgestanden! »

 

Die je linken Seiten 18-62 sind dann – bei 4 Ausnahmen – mit 19 schwarzweißen erotischen Zeichnungen aus den Jahren 1983-85 versehen, bis auf einen Mann (42) Frauen, meist, aber nicht immer weibliche Akte in frontaler oder Rückenansicht. Auf den je rechten Seiten (19-41) ist zunächst in farbiger Ausführung Das Alphabet der Künstlerlust (von Altenberg bis Zille) zu betrachten, es folgen bis 63 weitere nur oder auch erotische Blätter mit Bildergeschichten, darunter die wunderbaren Botero (44 s.), Karl Marx in London (50 s.), Die zielbewußte Zarin (54 s.) und der grüngetönte Goethe in Rom 58 s.) mit ihren gereimten Texten. Von diesen „Bildergeschichten“ oder auch „Bildergedichte“ genannten Produktionen hat Traxler mehrere in der Bibliografie zitierte, teils anthologische, teils um ein gemeinsames Thema komponierte Bände veröffentlicht. Jede ihrer Seiten besteht aus je 2 bis 8 Bild-Text-Elementen, deren jedes eigene narrative Funktionen erfüllt, so daß weder die Bilder, noch die meist reimenden Textzeilen nur illustrierend verwendet sind und Verstehen nur durch – pardon! – integrierendes Bild-Text-Rezipieren zustandekommen kann. Nur die Seiten 64-97 bieten auch nicht-erotische Bildergeschichten und Blätter, darunter (68) ein schwarzweißes ohne jede Angabe, das dem Simplizissimus um 1900 entsprungen scheint, ein anderes mit 6 Yachten in einer Badebucht, deren Lenzpumpen teils beidseits arbeiten, während am Strand eine barbusig-rundliche Schöne ihrem Partner im Wasser prinzipientreu zuruft: « Ich bin doch nicht ’68 auf die Demo gegangen, um jetzt in Millionärspipi zu schwimmen! » Grafisch unsäglich witzig auch die Doppelseite 84 s. Der Traum des alten Jury-Pekka Saloonen aus Turku, Finnland, der mit mächtigem Pinkelstrahl über große Entfernung hinweg fast, aber eben nur fast, einen Elchbullen mit ebenso mächtigen Schaufeln erlegt hätte.

 

Von den rund 85 (teils Doppel-)Bildseiten sind genau 0 dem jahrzehntelang auch als sehr virulenter Zeichner politischer und sozialer Themen der deutschen und internationalen Zeitgeschichte tätigen Hans Traxler gewidmet, und dieser scheint die empörende Reduktion seines bewundernswerten Gesamtwerks – aus welchen Gründen immer – hingenommen zu haben. Hier ein paar Beispiele, alle aus Titanic, wobei ich als Quelle je 3 Ziffern für Monat, Jahr und Seite(n) angebe: (1) An 2 Bäumen festgebunden ein Tornado-Jäger der Bundeswehr, dessen Copilot mit seinen Handschuhen eine Bombe hält, die ein mit Speedlines garniertes Schild Moskau über dem Kopf eines unter dem Flieger hindurchrennenden anderen Soldaten treffen soll. Titel: So gehts doch auch, Herr Apel! Erläuternde Unterschrift: Benzinsparen und russenfit bleiben, darauf kommts doch bei der derzeitigen Kassenlage an. (6 / 81, 7) (2) In Schluß mit der Arbeitslosigkeit! […] Der Mensch ersetzt die Maschine (4 / 82, 26-28) werden Verkehrs- und Fußgängerampeln, menschliche « Richtungsbriefkästen », Sicherheitsgurte, Polaroidkameras, Scheibenwischer von PKWs und Stereoanlagen aus lebenden, wie Ampellichter eingefärbten oder postgelb gekleideten Menschen mit Briefschlitz gebildet und damit mehr als 1 300 000 Leute aus der Arbeitslosigkeit geholt. Der auf dem Auto liegende menschliche Scheibenwischer ist einleuchtenderweise Ideal für kleinwüchsige Asylanten! (28) (3) In Anspielung auf die dutzende Male parodierte englische Bismarck-Karikatur Der Lotse geht von Bord läßt Traxler in 7 / 81, 3 u. d. T. Meisje und Klaas schiffen sich aus die Genannten mit Käseleib und Tulpenstrauß von der mit 3 riesigen Pershing II-Raketen « nachgerüsteten » Titanic in ein fragwürdig benamstes Rettungsbootje steigen, während die Deutschen oben an Bord ihnen nachrufen: Die sind doch nicht zu retten, die Holländer! (4) Das Cover von 4 / 81 1 zeigt 9 hochgerüstete Polizisten mit einem Zivilisten (vielleicht den berüchtigten Dachlatten-Börner?) mit einer Sprechblase durch eine offenbar soeben eingeschlagene Tür stürmen, neben deren Rahmen ein Startbahn-West-Demo-Plakat die Szene in Frankfurt situiert: Guten Tag! Wir suchen das Gespräch mit der Jugend! (5) Traxlers Cover von 3 / 81 1 verweist thematisch vorab auf « Geil Hitler », Entwurf zu einer Anti- / Faschismus-Revue, der, von Eilert, Gernhardt, Knorr, H. Rink und eben Traxler konzipiert und letzterem bebildert, 23-28 abgedruckt ist. Neben vielen Nazigrößen bevölkert auch die berüchtigte Wehrsportgruppe Doofmann [für Hofmann], die erste von allen Geheimdiensten der BRD trotz Gebrauchs von Kriegswaffen gehätschelte paramilitärische Neonazi- Terrororganisation, die Revue. (6) bietet schließlich u. d. T. Jetzt sprechen sie! Im Bett der Queen gings rund eine drastische Bettgeschichte Queen Elisabeth’s in 9 / 82, 30 s., wo diese barbusig und mit Lockenwicklern unterm grünen Kopftuch im Bett liegt, während einer ihrer beiden in ihrer Rede erwähnten Liebhaber rauchend unter diesem Bett liegt und per Ventilator den Rauch vertreibt. (7) Die große Überschrift Helmut Kohl – mehr als nur 1 Kanzler. Eine Kohl-age aus kohl-orierten Bildern von Hans Traxler kündigt treffend an, was die 14 farbigen und sprachspielerisch untertitelten Einzelbilder der Doppelseite 10 / 84, 14 s. bieten: Agfa-kohl-or / Kohl-rabbi / Kohl-dampf / Kohl-umbus / Melan-kohl-ie / Kohl-girl / Nat King Kohl / Kohl-onie / Kohl-osseum / Proto-kohl / Kohl-e [= 100-DM-Schein mit Kohlbild] / [ohne Titel: Weißes Haus in Washington mit Mini-Kohl=Birne und Reagans Ruf: Baby, it’s Kohl outside!] / Nikolai Go-kohl / Kohl-laps. Traxlers französischer Kollege Siné hat ganze Bücher mit sprachspielerischen Varianten französischer Substantive wie chat / auch deutsch erschienen: Katze, scie = Säge, politisch sehr unkorrekt: homo u. a. veröffentlicht. (8) Wir beenden die kleine Auswahl mit einem auch heute noch sehr aktuellen Blatt 12 / 80, 50: Zum Kotzen. Ein neuer Service von ARD + ZDF. Auf den 6 Bildern sitzt eine 3-Personen-Familie vor der Glotze, steht dann auf – und folgt der Empfehlung der TV-Anstalten, in Anbetracht der Bekömmlichkeit der Produkte der Nahrungsmittelindustrien – den Zeigefinger tief in den Rachen zu stecken und läßt sich dann zufrieden wieder vorm Fernseher nieder: « Letzte Woche brauchten wir bloss zweimal kotzen! »

 

Weitere Titel der Reihe werden demnächst vorgestellt.                                    Peter Ronge (Telgte, 2013/14)