Eduard Fuchs und das politische Arbeiter-Witzblatt Süddeutscher Postillon


par Ursula E. Koch.
Article paru dans Ridiculosa n° 2 (1995) Eduard Fuchs

« Der ‘Süddeutsche Postillon’ unterscheidet sich

… vom ‘Wahren Jakob’ durch eine wesentlich
schärfere Tonart, durch eine energischere Pflege
der politischen Satire. »
(Eduard Fuchs)1

 
Einleitung.
 

Unter Luitpold, von 1886 bis 1912 Prinzregent von Bayern, erlebte die Residenz- und Kunststadt München (um 1900 circa 500.000 Einwohner) auch auf dem Gebiet der illustrierten humoristisch-satirischen Presse ihre « Belle Epoque ». Erstmals mußte sich Berlin, seit 1848 Deutschlands politisches Witzblattzentrum Nr. 1, für einige Jahrzehnte (bis 1918/19) mit einem zweiten Platz begnügen.2

Insgesamt erschienen in der « heimlichen Hauptstadt » Deutschlands (Karl Bosl)3 zwischen 1886 und 1912 etwa 50 illustrierte Zeitschriften, die sich dem satirischen Kampf gegen « Zeitübel » beziehungsweise dem « pikanten Humor » verschrieben hatten.4 Nur wenige erfreuten sich eines längeren Lebens; lediglich drei sind im ausgehenden 20. Jahrhundert noch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: die Fliegenden Blätter (1844-1944), der Prototyp des damals auch in Frankreich (Le Journal amusant) verbreiteten, unpolitischen « Familienwitzblattes », ferner die beiden 1896 gegründeten legendären « Mischtypen » Jugend (bis 1940) und Simplicissimus (bis 1944), die in ihren Spalten, allerdings in höchst unterschiedlicher Weise, sowohl Literatur und Kunst als auch gesellschaftlichen Humor und politische Satire zu vereinen wußten.5

Heute nahezu vergessen ist dagegen der « Proletarier »6 unter Münchens Satire-Journalen, Süd-Deutscher (zeitweise Süddeutscher) Postillon (1882-1910). Obwohl er in der « Musenstadt mit Hinterhöfen »7, dem Zentrum der bayerischen Arbeiterbewegung unter dem reformistisch eingestellten, kunstsinnigen Georg von Vollmar,8 das beachtliche Alter von fast 29 Jahren erreichte,9 sucht man diesen Titel in den Katalogen publikumswirksamer Großausstellungen wie Die Prinzregentenzeit (Münchner Stadtmuseum: 1988/89) oder Karikatur & Satire. Fünf Jahrhunderte Zeitkritik (München, Wien, Hannover: 1992/93) sowie in einschlägigen Neuerscheinungen vergeblich.10

Einem kleinen Kreis von Kennern ist der Süd-Deutsche Postillon (im folgenden SP) dennoch vertraut. Unabhängig vom Forschungsschwerpunkt und Erkenntnisinteresse herrscht bei Presse-, Literatur-, Kultur- und Kunsthistorikern Übereinstimmung in einem Punkt: Seine Blütezeit erlebte das hauptsächlich von erwachsenen, politisierenden Arbeitern in Bayern, Sachsen und Thüringen gelesene Blatt in den Jahren 1892 bis 1901: unter der Leitung des Autodidakten Eduard Fuchs.11 Gleichwohl blieb der SP – verglichen mit dem ökonomisch weit erfolgreicheren Stuttgarter Konkurrenzblatt Der Wahre Jacob – stets ein Stiefkind der SPD.

 

I. Vom sozialdemokratischen Agitator zum Chefredakteur:
Eduard Fuchs macht Karriere.

 

Als der 20jährige Kaufmann und bereits zweimal inhaftierte « sozialdemokratische Agitator » Eduard Fuchs im August 1890, also in einem Jahr der politischen « Wende » (Wahlsieg der SPD, Entlassung Bismarcks, Nichtverlängerung des 1878 erlassenen Sozialistengesetzes), von der württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart in die Bayern-Metropole übersiedelte,12 ahnte er wohl kaum, daß die Bildsatire wenig später sein Schicksal würde. Tatsächlich liegen in München, genauer gesagt, in Schwabing, der am 20. Januar 1890 eingemeindeten Hochburg in- und ausländischer Künstler, Dichter und Denker,13 die Wurzeln seines lebenslangen Interesses für die Geschichte und Theorie der Karikatur.

Innerhalb von nur zwanzig Monaten avancierte Fuchs in der Verlags-Druckerei des Sozialdemokraten Maximin Ernst (Zeitungen, Zeitschriften, Agitationsbroschüren, Bücher)14 vom Buchhalter und Anzeigenleiter zum freien Mitarbeiter (seit Mitte 1891) und dann, im April 1892, zum verantwortlichen Redakteur des zweimonatlich erscheinenden SP.15 Unter seiner Leitung und mit Hilfe eines erweiterten Redaktionsstabs – Hauptstütze blieb der polyvalente Dichter-Publizist Ernst Klaar, Autor einer « Achtstunden-Marseillaise » – machte das sowohl finanziell als auch organisatorisch von der SPD unabhängige « Politisch-satyrische Arbeiterblatt » (zeitweiliger Untertitel) « die größten Anstrengungen », um « sich nach jeder Richtung hin zu vervollkommnen. »16

Zunächst wurde der Textteil ansprechender als vorher aufgebaut. Die Beiträge wurden kürzer und prägnanter; durch die Verwendung mehrerer Schriftgrößen und Schriftgattungen wurde ein aufgelockerter und anregender Satzspiegel gestaltet. Gleichzeitig wurde die Zahl der immer wiederkehrenden « stehenden Figuren » mit oder ohne Illustration, z.B. der fahrende Handwerksgeselle « Bruder Straubinger » oder – als Antipode – der grantelnde (= übellaunige) Münchner Philister mit Bierbauch und Maßkurg, genannt Abderit, unter der Regie von Eduard Fuchs erhöht.17 Die « stehenden Figuren », Repräsentanten unterschiedlicher sozialer Gruppen, spiegeln eine gewisse Meinungsvielfalt vor und machen zugleich Propaganda für das eigene politische Lager.

Neu eingeführt (Nr. 16, 1892) wurde der bereits sechzig Jahre früher (1832) von dem Berliner Satiriker Adolf Glassbrenner popularisierte und seither vielfach nachgeahmte Vertreter der untersten Bevölkerungsschicht, « Nante » (« Ick hab et immer jesagt…),18 sowie der von Fuchs eigens geschaffene « arbeitslose Philosoph ». Ebenfalls von Fuchs persönlich eingeführt und besonders gepflegt wurde die Kolumne « Derbe und lehrsame Sprüchlein aus dem Volksmunde von Fürchtenichts Schlagdrauf. » Hier konnte man zum Beispiel lesen: « Der Bube bleibt ein Bube, auch unter dem Chorrock » (SP, Nr. 20, 1894).

Darüber hinaus gelang es Fuchs – mit Unterstützung seines stets um technische Verbesserungen bemühten Arbeitgebers, ein « Drucker mit Leib und Seele »19 – der graphischen Gestaltung und Karikatur mehr Geltung zu verschaffen.

So wurde ab Mai 1892 jede der in der Regel acht (ausnahmsweise zwölf) Seiten (31 x 21 cm) starken, 10 Pfennig kostenden Nummern20 schwarz-weiß und farbig illustriert. Bereits vier Jahre vor Jugend und Simplicissimus, jedoch erst sechs Jahre nach den Lustigen Blättern (Berlin) beziehungsweise ein bis zwei Jahrzehnte nach einer Vielzahl von Pariser Satire-Journalen, versuchte der SP, durch ein farbiges Titelbild neugierige Leser/Käufer anzulocken.21 Im Bereich der Reproduktionstechnik, d.h. des Drei- und Vierfarbendrucks, hat das Blatt eine « bisher überhaupt nicht gewürdigte » Pionierarbeit geleistet.22

In der Ära Fuchs zeichneten für den SP (oft anonym) – neben dem Haupt- und hochbegabten Porträtkarikaturisten Max Engert – Josef Benedikt Engl und Bruno Paul, die 1896 beide zum Simplicissimus überwechselten, ferner Richard Grimm, Albert Fiebinger, Oskar Galle und Josef Damberger (Pseudonym J. Stichler). Gelegentlich stößt man auch auf den Jugendstilkünstler Ephraim Mose Lilien, der von 1896 bis 1899 in München lebte. So bekränzt auf dem Titelblatt der Weihnachtsnummer 1897 eine halbnackte weibliche Allegorie mit großen Flügeln und phrygischen Mützen auf ihrem Rock einen knieenden Arbeiter. Sie nimmt ihm seine eisernen Fesseln ab und umgarnt ihn mit ihren in langen Windungen herabfallenden blonden Haaren (Abb. 1).23

Das ständige Bemühen um eine ansprechende künstlerische Gestaltung kommt auch in der siebenmaligen Änderung des Zeitungskopfes zum Ausdruck. Seit 1896 schwang der bis dahin in ein Posthorn blasende, auf einem geflügelten Maßkrug (auf dem Deckel erkennt man das « Münchner Kindl ») reitende, nur mit einem schwarzen Zylinder (rote Kokarde) bekleidete jugendliche « Postillon » die Peitsche; von Nr. 12 bis Nr. 21 des Jahrgangs 1899 trägt das Maskottchen des SP eine rote Jakobinermütze, bevor es schließlich aus der Titelvignette verschwindet.24

Auf Fuchs schließlich geht – 1897 – die bald Schule machende Kolumne « Ausländische Satire » zurück. Hier wurden der Leserschaft kleinere bis

 

ganzseitige Karikaturen europäischer Zeichner (z.B. Caran d’Ache) vorgestellt und oft recht ausführlich kommentiert. Meist entstammten sie illustrierten Pariser Tageszeitungen wie Le Figaro oder so bekannten humoristisch-satirischen Presseorganen wie Le Charivari, Le Courrier français, Le Cri de Paris, Le Père Peinard, Psst oder Le Rire.25

Allerdings finden sich im SP auch außerhalb dieser Rubrik hin und wieder ausländische Karikaturen. Teils wurden sie von Fuchs mit einer deutschen Legende versehen, teils wies er seine Zeichner an, dieselben (ohne Quellenangabe) neu zu gestalten.

So diente beispielsweise eine am 3. Juni 1850 in Le Charivari26 erschienene Daumier-Lithographie (« Die politischen Lichtschnuppen ») für das Titelblatt der Mai-Nummer 1898 (SP, Nr. 10) als Anregung. Während der französische Künstler jedoch konkrete Personen (Politiker) und Ereignisse (die « drei glorreichen Tage » der Juli-Revolution 1830) benannte, beschränkte sich der deutsche auf die symbolische Darstellung von Klerus, Kapital und Krone als Nachtfalter (Abb.2). 1899 (SP, Nr. 25) verwendete, um hier ein zweites Beispiel anzuführen, der Karikaturist Josef Damberger alias Stichler eine fünf Jahre zuvor in dem Pariser Satire-Journal Le Chambard socialiste (Nr. 7 vom 28. Januar 1894) veröffentlichte Graphik des Künstlers Théophile Alexandre Steinlen als Vorlage (Abb. 3).

Umgekehrt wurden, wie der SP 1898 (Nr. 25) stolz verkündete, seine Karikaturen « vielfach von der ausländischen Presse reproduziert als Muster deutscher Satire. »

 

II. Journalist, Rezensent, Übersetzer, Dichter, Schriftsteller: der Autor
Eduard Fuchs.

In seiner 1991 erschienenen umfangreichen Arbeit Salonkultur und Proletariat. Eduard Fuchs. Sammler-Sittengeschichtler-Sozialist führt Ulrich Weitz sämtliche 168 Textbeiträge auf, die nach Ansicht des Autors zwischen 1892 und 1901 im SP eindeutig Eduard Fuchs zuzuschreiben sind, sei es nun unter voller Namenszeichnung oder unsigniert, unter der Verwendung von Kürzeln

(E.F., E., Eduard, -ds., -sd.: abgeleitet von Eduard Fuchs) und Phantasasienamen (Rotfuchs, R., Reinecke) oder aber, wie im SP (Nr.14, 1893), einer dekorativen Fuchs-Vignette (Abb.4 ).27

Der Redakteur Fuchs, der beim SP jährlich 2.000 Mark verdiente, zog für das Blatt, welches – wie Jugend und Simplicissimus – als ein teils ernster, teils ironisch-satirischer Mischtyp bezeichnet werden muß, mehrere literarische Register.

Er ersann fingierte Inserate (« Herr Kapital », « Frau Bourgeoisie »), schrieb meist selbst die kurzen, kleingedruckten Rezensionen für die 1892 ins Leben gerufene Rubrik « Bekritteltes » (seltener « Kritik ») und beantwortete in der Rubrik « Briefkasten », einer allgemein beliebten Witzblatt-Einrichtung, die vielen Einsendungen von Lesern nach dem Motto: « Nur die guten Gedichte werden gedruckt, die andern wandern in die Papiermühle, wo sie dann zu Rohmaterial für Tausendmarkscheine, Strafanträge und Liebesbriefe verarbeitet werden. »28

Eduard Fuchs verfaßte ferner für den SP zahlreiche Aphorismen. Man findet sie zumeist in der oben erwähnten, 1897 bei M. Ernst als Anthologie erschienenen Rubrik « Gedanken eines arbeitslosen Philosophen », aber auch unter wechselnden Überschriften wie « Aphoristisches », « Aphorismen » oder « Aus meinem politisch-satirischen Wörterbuch ».

Hier eine Kostprobe, die vor hundert Jahren zu einer Beschlagnahme des SP (Nr. 1, 1896) führte und heute noch zum Schmunzeln Anlaß gibt:

 

Man kann auf dreierlei Arten Carrière machen: 1. mit dem Kopf, 2. mit dem Hintern, 3. durch die ‘Liebe’.

1.a) durch seinen eigenen Kopf;
b) durch den Kopf eines Anderen.
2.a) Man bleibt auf seinem eigenen Hintern sitzen;
b) Man ‘küßt’ den Hintern eines Anderen.
3.a) Man ‘liebt’ die Frau seines Vorgesetzten;
b) man läßt seine eigene Frau von seinem Vorgesetzten ‘lieben’.

Hm! ich würde mich für 3a entscheiden, wenn ich schon Carrière machen wollte.

Eine weitere, von Fuchs glänzend beherrschte Meinungsstilform war die Glosse (z.B. « Glossen aus unserem satirischen Handwörterbuch » oder « Etwas über den Suff »).29

In dem knappen Jahrzehnt seiner Redaktionstätigkeit verfaßte Fuchs überdies zahlreiche satirische und kämpferische Gedichte.

Die erstgenannte Kategorie läßt sich unter dem Oberbegriff « gesellschaftliche Satire » zusammenfassen. Hier ein 1892 (SP, Nr. 22) unter der Überschrift « Sittenbilder aus einer anderen Welt » erschienenes Musterbeispiel Fuchsscher Reimkunst:

 

Höhere Buben
Das Eiapopeia der Denkfaulheit
Umnebelt sein Gehirne,
In einer Hand die Morphiumspritz,
die andere preßt die Dirne.
Er füttert sie mit Zuckerwerk,
Mit goldenem Gebimmel,
Sie weckt dafür die Liebesbrunst
Dem impotenten Lümmel.
Das sind die höheren Buben.

Auf diese und ähnliche Beiträge des SP trifft zu, was Knut Hickethier in bezug auf die im Deutschen Reich weitgehend von der politischen Macht ausgeschlossenen Arbeiter als die psychologisch entlastende Funktion der Satire bezeichnet hat:

« Da sie (die unterdrückten Klassen und Schichten) real über keine Macht verfügten, halfen ihnen Ironie und Satire, sich vom Gefühl der Ohnmacht zu entlasten und den Unterdrücker zu verspotten. »30

Eine Auswahl der von Eduard Fuchs im SP veröffentlichten « Kampfgedichte » erschien bereits 1894 in dem gemeinsam mit Ernst Klaar und Karl Kaiser herausgegebenen Sonderdruck Aus dem Klassenkampf.31 Diese Gedichte trugen Überschriften wie « Der Prometheus unserer Zeit », d.h. der Proletarier, der sich dem Kapital nicht beugen will (SP, Nr. 9, 1892), oder « Sozialismus – Prometheus » (SP, Nr. 1, 1896). Sie drohten vor allem dann ins « Abstrakt-Pathetische »32 abzugleiten, wenn sie sich mit der revolutionären Zeitenwende beschäftigten, die für Fuchs unmittelbar bevorzustehen schien.

In einzelnen Gedichten, z.B. « In memoriam Ludwig XVI. » (SP, Nr. 2, 1893) oder « An das deutsche Volk » (SP, Nr. 4, 1893) klingen ausgesprochen revolutionäre Gedanken an. Aus letzterem seien die beiden ersten Strophen zitiert:

 

Laß dich nicht irren durch Pharisäer,
Glaube dem Wort deiner großen Seher,
Glaube der Schrift deiner edeln Weisen:
Dein ist der Sieg, nichts kann ihn entreißen.

 

Aber nicht mühlos erringst du die Kronen,
Die nur den tapferen Kämpfer belohnen,
Und der Fortuna leuchtende Gaben
Sind nicht bestimmt, den Feigen zu laben.

Im Bereich der Prosa sind – neben Erzählungen und den weiter unten aufgeführten kunsthistorischen Abhandlungen – vor allem die von Eduard Fuchs verfaßten Nachrufe (z.B. auf den Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie Wilhelm Liebknecht) beziehungsweise Lebensbilder zu erwähnen. Letztere beschäftigten sich sowohl mit Toten (Heinrich Heine, Ferdinand Lassalle, Eugène Pottier, Autor der « Internationale ») als auch mit Lebenden, denen er auf diese Weise eine Ehre erweisen wollte. Schließlich dürfen die zahlreichen zwischen 1897 und 1900 erschienenen Übersetzungen aus dem Französischen hier nicht unerwähnt bleiben.33

 

III. Eduard Fuchs als verantwortlicher Redakteur auf der Anklagebank.

1893 (Nr. 2) wandte sich der SP mit folgenden Reimen an seine Leser:

Ich bin der lust’ge Postillon,
Ich fürcht’ nicht Grafen noch Baron,
Mich schreckt selbst keines Königs Thron,
Ich geißle jede Corruption.

Tatsächlich entwickelte sich das Blatt, dessen Auflage in den Jahren 1893-1896 rund 43.000 (darunter 40.000 Abonnenten), dann, von 1896-99, rund 40.000 Exemplare betrug,34 in der Ära Fuchs laut einer 1898 (Nr. 25) geschalteten ganzseitigen Anzeige zum anerkannt « schärfsten und entschiedensten politischen Witzblatt der Arbeiterbewegung ». Und weiter heißt es: « Rücksichtslos schwingt er (der SP) die satyrische Peitsche denen um die Ohren, welche sich erfrechen, dem Sozialismus in die Zügel zu fallen. » Wer war gemeint? « Geldsäcke und Pfaffen, Lakaien und Protzen, Spießer und Angstmeier. »

Die folgenden, nicht selten miteinander verwobenen innen-, außen- und gesellschaftspolitischen Leitmotive ziehen sich wie ein roter Faden durch die Jahrgänge 1892 bis 1901 : Wahlkämpfe und Wahlergebnisse, Parteitage und Flügelkämpfe innerhalb der SPD, Kapitalismus, Polizei und Justiz, Prüderie und Scheinmoral (katholische Geistlichkeit und Bürgertum),35 die « Soziale Frage », Antisemitismus,36 Militarismus37 und Kolonialpolitik.

Die Heeresvermehrungen sowie die seit 1897/98 verstärkte Flottenrüstung und der damit verbundene « Weltmachtanspruch » des Deutschen Reichs, ferner die « innere Ausrichtung » der wilhelminischen Gesellschaft auf das « den monarchischen Staat repräsentierende Offizierskorps »38 lieferten den Autoren und Zeichnern des SP reichlich Stoff. Mit ihren satirischen Attacken auf den « preußischen Leutnant » mit gezwirbeltem Kaiser-Bart befanden sie sich freilich in bester Gesellschaft, denn dieser bildete für die gesamtdeutsche Witzpresse, unabhängig von ihrer Tendenz, eine Zielscheibe des Spottes (Abb. 5).39

Ähnlich wie den, von Fuchs « als Offenbarung » gelobten Simplicissimus40 oder das offizielle SPD-Witzblatt Der Wahre Jacob41, so kennzeichnet auch den SP eine bemerkenswert frankophile Tendenz. 1892 wandte sich Ernst Klaar (SP, Nr. 25) in einer Parodie des 1840 gedichteten, seit 1870 als Ersatznationalhymne dienenden Liedes « Die Wacht am Rhein » mit Nachdruck gegen das routinemäßige « Aufputzen des Erbfeindes ».42

Während man im Deutschen Reich am 2. September 1895 mit großem Pomp die 25. Wiederkehr des « Sedanstages » feierte, stand die betreffende Ausgabe des SP (Nr. 18) ganz im Zeichen der sozialdemokratischen Devise « Krieg dem

 

Kriege! »43 Unter der Überschrift « Die beiden feindlichen Nationen » führte Ernst Klaar den Lesern Grauen und Absurdität des Deutsch-Französischen Krieges vor Augen und rief aus: « Nicht: ‘Hier Deutschland! hier Frankreich!’ gellt heute der Schlachtruf; sondern: ‘hier Arbeit! hier Kapital!’ Die Besitzenden und die Enterbten – das sind die beiden Nationen, die sich auch in Zukunft feindlich gegenüberstehen werden, bis zum Sieg oder Untergang! »44

Wiederum zwei Jahre später erschien im SP (Nr. 4) ein antithetisches Bild des Hauszeichners Max Engert. Es zeigt eine doppelte Konfrontation: 1. zwischen zwei verführerischen Damen, Germania (mit Pickelhaube) und Marianne (mit Hahnenkamm), 2. zwischen diesen kriegerischen Nationalfiguren und dem friedlichen, arbeitenden Volk (Abb. 6).

Aber auch in den beliebten, mit besonderer künstlerischer Sorgfalt hergestellten jährlichen « März-Nummern » des SP (zur Erinnerung an die Revolution in Deutschland und die Pariser Commune) sowie natürlich in den Festnummern zum 1. Mai wurde die deutsch-französische Solidarität auf Volkesebene immer wieder beschworen.45

In diesen Gedenknummern wird die deutsche Sozialdemokratie öfters als eine einmal mehr, einmal weniger bekleidete junge Frau mit Jakobinermütze, gewissermaßen eine deutsche Marianne dargestellt.46 Insgesamt überwiegt im SP allerdings bei weitem die Ereignis- und Porträtsatire.47

Der Hauptfeind des Sozialismus und damit des SP, den es mit allen Mitteln (pathetische oder satirische Text- und Bildbeiträge) zu bekämpfen und zu besiegen galt (Mai-Nummer 1895; Abb. 7), war jedoch ohne Zweifel der Kapitalismus. Nicht nur für sozialdemokratische Satire-Journale wie den SP (z.B. Nr. 13, 1900; Abb. 8), sondern auch für Simplicissimus war der Prototyp des « häßlichen Unternehmers » der saarländische Eisenindustrielle, Karl Freiherr von Stumm-Halberg, genannt « König Stumm ».48

Obwohl seit 1890 die Bestimmungen des Reichspressegesetzes (1874) erneut auch für die SPD-Presse Gültigkeit besaßen, führte die von Eduard Fuchs sehr kämpferisch gestaltete Blattlinie dazu, daß zwischen 1893 und 1899 nicht weniger als 27 Anträge auf Strafeinschreitung gegen den SP gestellt worden sind. Als Gründe wurden angegeben: Majestätsbeleidigung, Aufreizung zum

 

 

Klassenkampf, Vergehen gegen die Religion, Vergehen wider die Sittlichkeit beziehungsweise grober Unfug (Par. 95, 130, 166, 184 und 360 des Strafgesetzbuchs). 1897 stellte der Verlag rückblickend fest: « Zahlreiche Beschlagnahmungen… etc. legen Zeugnis dafür ab, daß er (der Süddeutsche Postillon) seine Peitsche nicht lässig geführt hat ».49

In vielen Fällen lehnten die Gerichte die Einleitung eines Strafverfahrens allerdings ab oder sprachen die Angeklagten frei.

Zwei besonders aufsehenerregende Gerichtsfälle seien hier zur Veranschaulichung geschildert. Am 25. April 1894 wurde die Maifestnummer durch gerichtlichen Beschluß kurzerhand beschlagnahmt. Mehrere Beiträge erschienen der Staatsanwaltschaft als « Aufreizung zum Klassenkampf », darunter das zwei Zeichnungen Steinlens aus Le Chambard socialiste nachempfundene,50 bedrohlich wirkende Bild « Fin de siècle » (Abb. 9) mit Begleittext. Das Gedicht hat zum Inhalt, daß sich Arbeiter, Bauern, Kriegsinvalide, schlecht besoldete Staatsdiener (kurz der « vierte Stand ») zum Kampf vereinen. Die letzten drei Verse lauten:

Gewalt regiert so lang die Welt,
Als an der Kett’ der Hunger bellt,
Der Hund wird endlich beißen.

Der Verleger Maximin Ernst druckte die wie immer mit großem Aufwand hergestellte Mainummer sofort mit Schwärzungen an den beanstandeten Stellen nach, so daß sie nur um wenige Tage verzögert ausgeliefert werden konnte.

Eduard Fuchs kommentierte die Konfiskation auf einer vollen Seite und nutzte sie zugleich – mit Hilfe von stark überzogenen Vergleichen – für propagandistische Zwecke. Er machte den SP zum Märtyrer, indem er sein Verbot in eine Reihe stellte mit der Kreuzigung Jesu Christi sowie der Ermordung des « gewaltigen Bauernführers des Mittelalters » Thomas Münzer (1525) und der Kommunarden in Paris (1871). Fuchs fuhr fort: « Arbeiter! Parteigenossen! Solche Gewaltakte waren stets die Vorboten herannahender Stürme, und hereingebrochen sind sie trotz Bannfluch und Polizeimaßregeln…, wir müssen fest zusammenstehen, wir müssen uns vor allem schaaren (!) um die Leuchte, welche uns im Kampfe voranschwebt, um unsere Presse! …In diesem Zeichen werden und müssen wir siegen! »51

Tatsächlich wurden der verantwortliche Redakteur Eduard Fuchs und der Verleger Maximin Ernst vom Schwurgerichtshof von Oberbayern freigesprochen.

Allerdings durfte die inkriminierte Seite « Fin de siècle » auch weiterhin nur eingeschwärzt erscheinen. Das auf diese Weise unkenntlich gemachte Blatt wurde von Fuchs mit kurzen Textzeilen rot umstempelt. Der Verlag empfahl die zensierte Nummer in einer Anzeige interessierten Lesern zum Studium als « interessantes Belegstück » deutscher Pressefreiheit.52

Fünf Jahre später ereilte Eduard Fuchs, der in der Zwischenzeit lediglich zu kleineren Geldstrafen verurteilt worden war, dennoch das Schicksal. Von August 1898 bis Juni 1899 mußte er – wegen Majestätsbeleidigung – eine zehnmonatige Haftstrafe im Nürnberger Zellengefängnis verbüßen.

Als Zwischenbemerkung sei erlaubt, daß etwa um die gleiche Zeit zwei Mitarbeiter des Simplicissimus (der Zeichner Thomas Theodor Heine und Frank Wedekind) sowie der verantwortliche Redakteur der humoristisch-satirischen Beilage des Berliner Tageblatts (Ulk), Sigmar Mehring, wegen Majestätsbeleidigung zu einer mehrmonatigen Festungshaft (nicht Gefängnishaft) verurteilt worden sind.

Stein des Anstoßes war Nr. 2 des SP aus dem Jahr 1898. Gegen Fuchs wurde nicht nur wegen eines Beitrags, sondern gleich wegen drei Beiträgen ein Verfahren eingeleitet. Beanstandet wurden eine im SP aktualisierte, d.h. umfunktionierte Karikatur Napoleons III. von André Gill (eigentlich Louis-Alexandre Gosset de Guines) aus dem Jahr 1868, erschienen in dem berühmten Pariser Satire-Journal L’Eclipse, sowie ein satirischer Angriff auf die kaiserliche Flottenpolitik.

Beanstandet wurde ferner die auf den deutschen Kaiser gemünzte Fabel « Die sittliche Weltordnung ». Die Unterstreichungen des aufgebrachten Staatsanwaltes seien der Leserschaft nicht vorenthalten: « Eine ganz kleine Fabel will ich Euch hier erzählen. Es gab einmal ein grosses Volk, von dem es hieß, Wahrheitsliebe sei seine erste Tugend und es sei treu und gerade wie seine Eichen. Wenn nun einer der Männer aufstand und sprach vor dem versammelten Volke von den Fürsten des Landes, so nannte er sie weise, gütig und gerecht… Niemals hörte man auf offener Tribüne: unser Fürst ist ein eingebildeter Schwätzer, ein größenwahnsinniger Tor, unsere Priester sind elende Heuchler, die nur reden was wohlklingt in den Ohren der Reichen und Mächtigen, auch nicht: Unsere Richter sind gewissenlose Streber, die jederzeit des Winkes von oben gewärtig sind, um das Recht zu beugen – und doch dachten alle Verständigen des Landes so. Das wäre die kleine Fabel, die ich Euch hier erzählen wollte. Leider hat sie einen grossen Fehler – daß sie nämlich gar keine Fabel ist. » 53

Als Fuchs am 10. Juni 1899 aus dem Gefängnis entlassen wurde, feierte Max Engert im SP seine Wiederkehr mit einer doppelseitigen Farbzeichnung: der Redakteur fliegt auf dem Maßkrug, dem Signet der Zeitschrift, – den « Postillon » im Nacken – über die Gefängnismauern hinweg in Richtung Heimat. Doch schon ist er im Begriff seine Feder zu spitzen und kündigt an, daß er sich auch künftig durch Strafverfolgungen und Schikanen nicht einschüchtern lassen wolle (Abb. 10).

IV. Eduard Fuchs an der Schwelle des 20. Jahrhunderts:

Weg von der Tagespolitik und Hin zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Karikatur.

Seit 1892 beschäftigte sich der Wahlmünchner Eduard Fuchs, der selbst nicht zeichnen konnte, intensiv mit dem Medium Karikatur. Ein Jahr später entdeckte er seine Liebe zu dem republikanischen Charivari-Zeichner, Maler und Bildhauer Honoré Daumier (1808-1879), dem er später nicht weniger als fünf Bücher widmen sollte.

Intensiv arbeitete der Chefredakteur mit seinen « Bildjournalisten » zusammen; gleichzeitig begann er eine emsige Sammeltätigkeit. Fuchs sichtete in- und ausländische « Bruder »- beziehungsweise Konkurrenzorgane, rückte in den SP anonyme Suchanzeigen ein und stöberte in Antiquariaten. 1909 besaß er

bereits 3.800 Lithographien von Daumier, Ende der 20er Jahre waren es 6.000.54 Zu bestimmten Themen, Personen oder historischen Ereignissen legte er Sammelmappen an. Dank seiner zahlreichen Rezensionen, z.B. der Werke des Schweizer Karikaturenforschers John Grand-Carteret,55 konnte er zugleich seine Bibliothek vergrößern und seine kunsthistorische und theoretische Bildung vertiefen.

1897 übernahm Fuchs – als Nebenbeschäftigung – die Bearbeitung der Rubriken « Gesellschaftliche Satire » und « Politik im Bilde » der Leipziger Volkszeitung. Gleichzeitig veröffentlichte er im SP (Nr. 8) einen Aufsatz über das Thema: « Die orientalische Frage im Bilde der ausländischen Satire ».

Den eigentlichen Durchbruch brachte freilich das Jahr 1898.

E. Fuchs publizierte in der neuen Zeitschrift für Bücherfreunde einen Essay über den französischen Karikaturisten André Gill, « noch einige » Karikaturen des Turnvaters Friedrich Jahn (1778-1852) sowie die Abhandlung « Lola Montez in der Karikatur ».56

Zum 50. Jahrestag des Völkerfrühlings erschien dann im SP (Nr. 4-7 und 15) seine fünfteilige Serie « 1848 in der Karikatur ». Noch im gleichen Jahr wurde sie den Lesern von Maximin Ernst als aufwendig gestaltete Mappe oder aber prachtvoll ausgestattetes, von Ephraim Mose Lilien illustriertes Buch angeboten.

Parallel zu dieser Dokumentation von fünfzig europäischen politischen Karikaturen der Revolutionszeit verfaßte Fuchs für zwei sozialdemokratische Tageszeitungen die anonyme Artikelserie « Erinnerungen an das Jahr 1848 ». Hierin wirft er dem « sonst so jubiläumseifrigen » deutschen Bürgertum « Geschichtslosigkeit » vor und bezeichnet die Sozialdemokratie als « die einzige Partei, die nicht nur das Andenken an die Revolution von 1848 wachhält, sondern auch die damals angestrebte, aber bis heute nicht verwirklichte politische Freiheit zu erkämpfen hat. »57

Aus dem ebenfalls im SP erschienenen Beitrag « Die politische Karikatur im verflossenen Wahlkampfe » (SP 14, 1898) geht hervor, weshalb Fuchs der Karikatur für den politischen Kampf der Arbeiterklasse eine so hohe Bedeutung beimaß:

« Denn dadurch, daß in der Karikatur die Absurdität eines Gegenstandes am raschesten in die Augen springt, die bekämpfte Sache oder Person dem Spott und Gelächter preisgegeben wird, wirkt sie meist vernichtender als die zwingendsten Argumente ».58

Nach seiner zehnmonatigen Einzelhaft, die es Fuchs gestattet hatte, die Vorarbeiten seiner kulturhistorischen Studien voranzutreiben und eine größere Anzahl französischer Autoren (Emile Zola, Guy de Maupassant, Lucien Descaves u.a.) zu übersetzen, erschien 1899 im SP (Nr. 17) der Prosatext « Goethe in der Karikatur ».

Ein knappes Jahr später folgte die dreiteilige illustrierte Serie « Honoré Daumier » (SP, Nr. 10-12, 1900). Sie beginnt mit den Worten: « Honoré Daumier. Wie fremd klingt dieser Name in deutschen Ohren! Wie wenige der Leser werden ihn schon gehört, geschweige denn eine jener merkwürdigen Karikaturen gesehen haben, die mit diesem Namen signiert sind. »59 Fuchs brachte übrigens Daumier nicht nur den Lesern des SP nahe, sondern auch seinem Freund Slevogt und, zwei Jahrzehnte später, dem Photomontage-Künstler John Heartfield.

1900 ging die journalistische Phase im Leben des Eduard Fuchs zu Ende. Im Herbst war er von seinem Arbeitgeber als verantwortlicher Redakteur des SP, ohne Angabe von Gründen, entlassen worden. Ab Nummer 2 des Jahrgangs 1901 zeichnete Maximin Ernst verantwortlich, von nun an Verleger, Drucker und Redakteur des SP in einer Person.60

Im Oktober 1901 zog Eduard Fuchs nach Berlin. Hier gestaltete er, wahrscheinlich auf Honorarbasis, von 1901 bis 1907 die auflagenstarken Jubiläums- und Festnummern (März, Mai) für den Parteiverlag Vorwärts. Hier erschien, noch im Jahr 1901, als Auftakt zu seinen umfangreichen, zum Teil nachgedruckten kulturhistorischen Studien, die erste Auflage des epochemachenden Werks: Die Karikatur der europäischen Völker vom Altertum bis zur Neuzeit.

Universität München


1. E.Fuchs, Die Karikatur der europäischen Völker von 1848 bis zur Gegenwart, Berlin o.J. (1903), S. 480 f.

Der 1879/80 in Hamburg erschienene, 1884 in Stuttgart neu gegründete Wahre Jacob war vor dem Ersten Weltkrieg Deutschlands auflagenstärkstes Witzblatt (um 1890: 100.000; 1912: 380.500). Vgl. zu diesem parteioffiziellen SPD-Satire-Journal vor allem folgende Dissertationen: J.-C. Gardes, Der Wahre Jacob (1890-1914), Paris 1981 (Masch.), und K. Ege, Karikatur und Bildsatire im Deutschen Reich: Der Wahre Jacob. Hamburg 1879/80, Stuttgart 1884-1914, Münster, Hamburg 1992. Der Wahre Jacob erschien bis 1933, zuletzt in Berlin.

2. Vgl. U.E. Koch, Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848-1890, Köln 1991.

3. K. Bosl: « München, die ‘heimliche Hauptstadt' », in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte, Bd. 30/1967, S. 350.

4. Vgl. die tabellarischen Angaben bei A. Schwind, Bayern und Rheinländer im Spiegel des Pressehumors von München und Köln, München/Basel 1958, S. 237-242.

5. Le Journal amusant ging 1856 aus Le Journal pour rire (1848-1855) hervor. Es bestand bis 1933. Vgl. zu diesen drei legendären Münchner Zeitschriften u.a. die entsprechenden Facsimile-Querschnitte sowie die Arbeiten von Helga Abret (Albert Langen; Simplicissimus) und Suzanne Gourdon (Jugend; im Druck).

7. F. Prinz/M. Krauss, München – Musenstadt mit Hinterhöfen. Die Prinzregentenzeit 1886 bis 1912, München 1988.

9. Der 1882, also zwei Jahre vor der Neugründung des Wahren Jacob (1884), ins Leben getretene Süd-Deutsche Postillon ist das erste Arbeiter-Witzblatt, das sich über längere Zeit halten konnte. Vgl. zu den nach kurzer Zeit verbotenen humoristisch-satirischen Publikationen der Sozialdemokratie (die gescheiterten Berliner Gründungen wurden allerdings ausgespart) zuletzt U. Weitz, Salonkultur und Proletariat. Eduard Fuchs – Sammler, Sittengeschichtler, Sozialist, Stuttgart 1991,

S. 38-72.

10. Diese Ausstellung wurde 1992 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München gezeigt, anschließend im KunstHaus Wien und schließlich im Wilhelm-Busch-Museum Hannover. In der neu erschienenen Studie von G. Lammel (Deutsche Karikaturen. Vom Mittelalter bis heute, Stuttgart/Weimar 1995) wird E. Fuchs zwar als Sammler und Karikaturen-Historiker erwähnt, nicht aber als Redakteur des Süddeutschen Postillons.

11. Vgl. vor allem die bereits erwähnte Publikation von U. Weitz (wie Anm. 9) sowie die auch von Weitz herangezogene Dissertation von Th. Huonker, Revolution, Moral & Kunst. Eduard Fuchs: Leben und Werk, Zürich 1985. Als erster « Biograph » ist Walther Benjamin zu nennen: « Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker ». In: Zeitschrift für Sozialforschung, New York, Nr. 2, 1937.

 

12. E. Fuchs gehörte zeitweise dem anarchistischen Flügel der Stuttgarter Sozialdemokratie an. Vgl. zu seinen bewegten Jugendjahren die Biographie von Th. Huonker (wie Anm. 11), S. 6-26, u. U. Weitz (wie Anm. 9), S. 86-108.

13. Im Universitäts- und Künstlerviertel Schwabing, einem « Vielvölkerstadtteil », lebten damals, um nur einige Namen zu nennen, die Dichter/ Schriftsteller Michael Georg Conrad, Stefan George, Max Halbe, Thomas Mann, Erich Mühsam, Ludwig Thoma, Frank Wedekind sowie Lenin, ferner rund 3.000 Künstler, darunter der bald mit Fuchs eng befreundete Max Slevogt. Die berühmteste Chronistin Schwabings (siehe Herrn Dames Aufzeichnungen, 1913; Tagebücher 1895-1910, 1976) war Franziska Gräfin zu Reventlow Vgl. zur Rolle von E. Fuchs als « proletarischer Outsider » in der Schwabinger Kulturszene U. Weitz (wie Anm.9), S. 121-129. Siehe allgemein die grundlegende Arbeit von G. Huber, Das klassische Schwabing. München als Zentrum der intellektuellen Zeit- und Gesellschaftskritik an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, Miscellanea Bavarica Monecensia (MBM), H. 37, München 1973. Jedoch: Daß Fuchs zu dieser Zeit verantwortlicher Redakteur des SP war, wird in diesem Buch ebensowenig erwähnt wie das Arbeiter-Witzblatt selbst.

14. Ernst war es auch, der die von Lenin redigierte illegale russische Zeitschrift Iskra druckte. U. Weitz (wie Anm. 9, S. 213-220) vermutet, daß Fuchs mit Lenin in Verbindung stand und für die Zeitschrift Karikaturen lieferte.

15. Fuchs war bereits vor der Nr. 8 (April) und offiziell seit Nr. 10 (1892) bis Nr. 2 (1901) verantwortlicher Redakteur. Auch nach seinem Ausscheiden lieferte er noch Beiträge für das Blatt

Der SP war 1882 (Nr. 1 vom 30. Januar) von dem Dresdner Arbeiterdichter Max Kegel, der 1888 zum Waren Jacob überwechselte, sowie von dem ein Jahr zuvor wegen sozialistischer Umtriebe aus Berlin ausgewiesenen königlich preußischen Kammergerichtsreferendar Louis Viereck (1851-1922) gegründet worden. Er erschien zunächst als Beilage zu mehreren, meist nach kurzer Zeit verbotenen Kopfblättern des Verlags Louis Viereck, der im Januar 1890 von M. Ernst übernommen wurde. Der SP kam bis November 1909 in München heraus, anschließend (bis zum 28.6.1910) in Stuttgart: im Wechsel mit dem Wahren Jacob unter dem verkürzten Titel Der Postillon. Einen Überblick mit einer kurzen Einleitung gibt U. Achten in: Süddeutscher Postillon, Berlin/Bonn 1979. Leider werden die Abbildungen vom Herausgeber nicht kommentiert.

16. Vgl. E. Fuchs: « In eigener Sache ». In: SP, Nr. 15, 1894, o.S. Untertitel folgender Nummern: 6, 1897; 2-23, 1898; 12-21, 1899. Weitere Autoren waren Karl Kaiser, Julius Brand und Ernst Kreowski. Kurze biographische Angaben finden sich in der 1987 am Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft entstandenen, unveröffentlichten Diplomarbeit von M. Götz, « Süddeutscher Postillon ». Die Geschichte des Münchner sozialistischen satirischen Blattes und sein Kampf gegen die Feinde der Arbeiter (1881-1910), S. 58-75. Die in der Sammlung « Postilloniana » der Bayerischen Staatsbibliothek München aufbewahrten, gut erhaltenen Manuskripte Klaars lassen erkennen, daß dieser für jede Ausgabe drei, fünf und mehr Beiträge (oft lange Gedichte) lieferte.

22. So L. Hollweck, Karikaturen. Von den Fliegenden Blättern bis zum Simplicissimus 1844-1914, München 1973, S. 80.

23. Vgl. hierzu sowie zu weiteren Beispielen die Dissertation (1986) von Klaus-Dieter Pohl, Allegorie und Arbeiter. Bildagitatorische Didaktik und Repräsentation der SPD 1890 – 1914, S. 297-301. Bereits in der Mainummer des SP von 1892 und dann ab 1893 in verschiedenen Titelvignetten finden sich erste Vorformen des Jugendstils. Vgl. zum Ursprung des Jugendstils u.a. Michael Weisser, Im Stil der Jugend, Die Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben und ihr Einfluß auf die Stilkunst der Jahrhundertwende, Frankfurt 1981.

24. Die sieben Titelvignetten sind abgebildet bei M. Götz (wie Anm. 16), S. 167-170. 1897 (SP, Nr. 3) wird die Entstehung der Titelvignette erläutert. Es handelt sich um einen « jungen, kleinen Wotan », der aussehen soll wie ein Postillon.

25. Vgl. zu diesen Organen unterschiedlicher Tendenz sowie zur Vielfalt der Pariser humoristisch-satirischen Presse um die Jahrhundertwende insgesamt J. Lethève, La caricature et la presse sous la IIIe République, Paris 1961. Weitere Karikaturen stammten aus holländischen, ungarischen oder schweizer Satire-Journalen.

26. Vgl. zu dieser illustrierten satirischen Tageszeitung die bisher einzige Monographie von U.E. Koch/P.P. Sagave, « Le Charivari ». Die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832 bis 1882) » (mit Ausblick), Köln 1984.

28. SP, Nr. 25, 1898, Abonnements-Einladung. Vgl. zu den oben beschriebenen Tätigkeiten Th. Huonker (wie Anm. 11), S. 234-243.

29. SP, Nr. 2, 1894; SP, Nr. 22, 1899. Bereits 1892 waren in der bei Maximin Ernst gedruckten sozialdemokratischen Tageszeitung Münchner Post 8 Sonntagsglossen von Eduard Fuchs erschienen. Vgl. U. Weitz (wie Anm.9), S. 446.

30. K. Hickethier, « Karikatur, Allegorie und Bilderfolge. Zur Bildpublizistik im Dienste der Arbeiterbewegung. » In: Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1848-1918. Hrsg. von P. von Rüden unter Mitwirkung von G. Beier, K. Hickethier, K. Koszyk, D. Schwarzenau und H.-J. Steinberg, Frankfurt am Main/Wien/Zürich 1981, S. 79-165, hier S. 84.

31. Der 1868 in Strasbourg geborene Klaviermechaniker Karl Kaiser schloß sich 1889 in München der Arbeiterbewegung an und schrieb als ständiger Mitarbeiter für den SP. 1978 gab K. Völkerling, Autor der ungedruckten Dissertation Die politisch-satirischen Zeitschriften « Süddeutscher Postillon » (München) und « Der wahre Jacob » (Stuttgart). Ihr Beitrag zur Herausbildung der frühen sozialistischen Literatur in Deutschland und zur marxistischen Literaturtheorie (Potsdam 1969),in Berlin (Ost) eine mit einem längeren Vorwort versehene Neuausgabe dieses Titels heraus.

32. Siehe Th. Huonker (wie Anm.11), S. 276.

35. Im März 1900 machte E. Fuchs auch aktiv Front gegen die vom katholischen Zentrum im Reichstag eingebrachte, nach einem Leipziger Zuhälter benannte « Lex-Heinze-Vorlage » zur Eindämmung von Unmoral und Prostitution. Er trat, wie der Verleger der Zeitschrift Jugend und der Tageszeitung Münchner Neueste Nachrichten, Georg Hirth, dem « Goethebund » bei, der es sich zur Aufgabe machte, die geplante Einschränkung der Kunst-Freiheit zu bekämpfen.

36. Im SP finden sich zahlreiche Beiträge, insbesondere Karikaturen, welche den auch in Deutschland und Österreich und keineswegs nur in Frankreich (Dreyfus-Affäre) um sich greifenden Antisemitismus kritisch beleuchten.

37. Das Schlagwort « Militarismus » geht auf die politischen Gegner Napoleons III. zurück.

38. Vgl. W. Deist, « Die Armee in Staat und Gesellschaft 1890 – 1914 ». In: Michael Stürmer (Hrsg.), Das kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870 – 1918, Kronberg 1977, S. 330. Innerhalb von 15 Jahren (1890-1905) wurde die Armee durch die Wehrgesetze von 1890, 1893, 1899 und 1905 von 468.000 auf 633.000 Mann verstärkt. Für den Ausbau der Flotte war der Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Alfred Tirpitz, zuständig. Vgl. u.a. W. Hubatsch, Die Ära Tirpitz, Göttingen 1955.

39. SP, Nr. 1, 1897. Bei der « Brüsewitz-Debatte » drehte es sich um die Zulässigkeit des Duells für Offiziere im Fall einer « Ehren-Notwehr ». Der auf der Zeichnung genannte preußische Kriegsminister Heinrich von Goßler, war von 1896 bis 1903 im Amt. Er hatte – laut SP (Nr. 25, 1896) – gesagt: « In illustrirten Blättern wird der Armee oft Unrecht gethan. Für jeden erbärmlichen Witz wird ein Leutnant illustrirt. » Das Blatt fuhr fort: « Postillon! Postillon! Auch du gehörst zu jener vaterlandslosen Rotte von Blättern, die nicht werth ist, von einem Leutnant gelesen zu werden! » Im In- und Ausland berühmt wurde der Simplicissimus-Leutnant von Eduard Thöny.

41. Vgl. die Beiträge von H. Abret (« ‘Antifranzösische Zeichnungen machen wir nicht…’. – Der Simplicissimus und Frankreich 1896-1914″; S. 233-262) und J.-Cl. Gardes (« Le peuple français est un allié. – L’image de la France dans l’organe satirique socialiste Der Wahre Jacob (1884-1914) »; S. 119-138) in: H. Abret/M. Grunewald, Visions allemandes de la France (1871-1914). Frankreich aus deutscher Sicht (1871-1914), Berlin; Berlin; Frankfurt/M; New York; Paris; Wien 1995.

42. « Lieb Vaterland, magst ruhig sein. » Die erste Strophe des aus Anlaß der « Rheinkrise » im November 1840 veröffentlichten Gedichts von Max Schneckenburger lautet:

« Es braust ein Ruf wie Donnerhall,

wie Schwertgeklirr und Wogenprall:

Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,

wer will des Stromes Hüter sein?

Lieb Vaterland, magst ruhig sein,

fest steht und treu die Wacht am Rhein. »

Zit. nach H. Lamprecht (Hrsg.), Deutschland Deutschland. Politische Gedichte vom Vormärz bis zur Gegenwart, Bremen 1969, S. 35.

44. In dieser Ausgabe des SP finden sich auch Äußerungen von Victor Hugo und Guy de Maupassant. Am 4. September 1895 begründete der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Ignaz Auer auf einer Massenversammlung in Berlin die Nichtbeteiligung der SPD an den « Sedan-Feiern », die nur « das deutsche Volk gegen die französischen Brüder aufhetzten ». Als Gegensatz zur frankreichfreundlichen ist die ausgesprochen russenfeindliche Grundhaltung des SP zu erwähnen.

45. Seit 1890 fanden u.a. an diesem Tag in Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und in den USA Demonstrationen statt, bei welchen der Achtstunden-Arbeitstag gefordert wurde. Vgl. in diesem Zusammenhang den Beitrag von E. Fuchs « Der erste Mai im Bilde », erschienen im SP (Nr. 10, 1898).

Weiterführend Udo Achten: Wenn Ihr nur einig seid. Texte, Bilder und Lieder zum 1. Mai, Köln 1990.

46. Vgl. hierzu K. Hickethier (wie Anm.30), S. 137-139. Der Autor ist der Ansicht, daß diese entlehnte, als Verweis auf das revolutionäre Erbe der Kommune zu verstehende Figur nur « halbherzig » integriert worden ist. Vgl. zur französisischen Nationalfigur « Marianne » vor allem die beiden Bände von M. Agulhon, Marianne au combat. L’imagerie et la symbolique républicaines de 1789 à 1880 (Paris 1979), und Marianne au pouvoir. L’imagerie et la symbolique républicaines de 1880 à 1914 (Paris 1989).

47. Vgl. zur Typologie F. Schneider, Die politische Karikatur, München 1988.

48. Karl Ferdinand, Freiherr von Stumm-Halberg (1836-1901) war Mitglied der Freikonservativen Partei und des Reichstags (ab 1889). Ab 1896 hatte er großen Einfluß auf die gegen die Arbeiterschaft, insbesondere gegen die Gewerkschaften und die SPD gerichtete Innenpolitik Wilhelms II. Die Karikatur spielt auf die Chinaintervention nach der Ermordung des deutschen Gesandten in Peking an. Die sozialdemokratische Presse berichtete über Greueltaten des Expeditionskorps; im Reichstag und in Volksversammlungen protestierte die SPD gegen den deutschen « Imperialismus ».

51. Eduard Fuchs: « Arbeiter! Parteigenossen! » In: SP, Nr. 9, 1894, Nachdruck. Wiederabgedruckt in U. Achten (wie Anm.15), S. 57.

52. Empfehlung der zum zweitenmal nachgedruckten Maifestnummer durch den Verlag. In: SP, Nr. 19, 1894. Die Auseinandersetzung um die Maifestnummer war der einzige Fall, in dem Redaktion und Verlag wegen « Aufreizung zum Klassenkampf » belangt worden sind.

53. Zit. nach U. Weitz (wie Anm.9), S. 170 f. Vgl. zu weiteren Verfolgungsmaßnahmen, darunter auch das den Vertrieb beeinträchtigende Verbot der Kolportage, S. 160-184. Zum Vergleich: dem Stuttgarter « Bruderblatt » Der Wahre Jacob wurde nur dreimal der Prozeß gemacht, und zwar nach der Jahrhundertwende. Ebenda, S. 184.

59. Manchmal irrt der Forscher Fuchs, z.B. wenn er, wie im ersten Teil dieser Serie, den Maler Gustave Courbet während der Commune als den « Stürzer der den Cäsarismus verkörpernden Julisäule » bezeichnet. Es handelt sich um die Vendôme-Säule.

Die inzwischen zu Daumier erschienene umfangreiche Literatur kann hier nicht angegeben werden. Interessanterweise enthielt die kurzlebige, zweisprachige Monatsschrift Revue franco-allemande/Deutsch-französische Rundschau (Berlin/Goslar/Leipzig/Paris) 1901 (Bd. 6) ebenfalls einen Beitrag über das Werk Daumiers. Autor war Emile Laboureur.

60. In Nr. 9 und 11 (1901) des SP erschienen nochmals je drei Glossen von Fuchs unter der Überschrift « Jochen und ich ».