Karikaturisten als Übersetzer? (Prof. Dr. Helge Gerndt)
article paru une première fois dans Kuckuck (1/06)
Darf man Bilder als Übersetzungen verstehen, gleichviel ob es sich um Strichzeichnungen, Ölgemälde oder Fotografien handelt? …
Helge Gerndt
Karikaturisten als Übersetzer?
Darf man Bilder als Übersetzungen verstehen, gleichviel ob es sich um Strichzeichnungen, Ölgemälde oder Fotografien handelt? Bilder – hier im engeren Sinne: durch unterschiedliche „Rahmung“ begrenzte Darstellungen auf einer materialen Fläche – vermitteln ein mehr oder weniger genaues Abbild der dreidimensional erfahrenen Wirklichkeit oder sie objektivieren visuelle Nachempfindungen von Traum- und Fantasievorstellungen oder veranschaulichen modellhaft abstrakte Ideen und komplexe Verfahrensweisen. Bilder transformieren unser Erleben, Fühlen und Denken in eine visuell wahrnehmbare Form. Wenn wir diesen Vorgang „Übersetzung“ nennen, dann ist eine solche Bezeichnung selbst eine Übersetzung, eine metaphorische Ausdrucksweise, nämlich die Übertragung eines üblichen Wortgebrauchs bezüglich sprachlicher Phänomene auf eine visuelle Gegebenheit. Allerdings kann man Visuelles nun einmal nur mit Worten besprechen. Zumindest sind wir es bisher noch nicht gewohnt, auf andere Weise über Bilder zu kommunizieren.
Es erscheint jedoch weiterführend, unseren konventionellen Sprachgebrauch ausdrücklich ins Bewusstsein zu heben. In der Sprachmetaphorik äußert sich die Bildlichkeit des menschlichen Kreationsvermögens. Der Begriff „Bildsprache“, der als Verständigungsvokabel ziemlich häufig verwendet, aber durchweg nicht weiter reflektiert wird, ist insofern irritierend, als er unterstellt, dass Bilder entsprechend sprachlicher Strukturen aufgebaut sind. Andererseits ist er fruchtbar, weil er in Analogie zur Sprachgrammatik ermöglicht, die Bildcharakteristik tiefer auszuloten. Man könnte also darüber nachsinnen, inwieweit etwa die einzelnen (realen oder imaginierten) Formen in einem Bild z.B. den Subjekten oder Objekten, die Linien den Prädikaten und die Farben den Attributen in einer Sprache vergleichbar wären. Prinzipiell bleibt jedoch offen zu halten, dass eine explizierte Sprachanalytik möglicherweise einer „bildsynthetischen“ Vorgehensweise bereits grundsätzlich widerspricht.
Im Folgenden soll einer spezielleren „Bildsprache“, einem Bilddialekt gewissermaßen, etwas näher nachgegangen werden, und zwar in der politischen Karikatur. Wenn wir Karikaturisten als „Übersetzer“ verstehen: was übersetzen sie dann und wie und mit welchen Mitteln tun sie das? Die dramatischen Kontroversen um Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung, die im Herbst 2005 veröffentlicht und ab Februar 2006 auf der ganzen Welt wahrgenommen wurden, haben die Möglichkeiten und Folgen einer provokant zugespitzten Bilddarstellung gesellschaftspolitischen Inhalts eindringlich demonstriert.
Zur Erinnerung: In der konservativen „Jyllands-Posten“ erschienen am 30. September 2005 zwölf Karikaturen über den Propheten Mohammed. Eine davon zeigt Mohammed mit einer Bombe im Turban, an dessen Ende eine Zündschnur brennt. In einer anderen schreibt ein Junge namens „Mohammed Valloyskole, Klasse 7a“ in arabischen Lettern auf eine Schultafel: „Die Journalisten von Jyllands-Posten sind ein Haufen reaktionärer Provokateure“, also ein selbstironischer Zug, der aber zumindest von den dänischen Vertretern dortiger muslimischer Organisationen nicht verstanden wurde oder nicht akzeptiert werden konnte. Die Empfindung, Mohammed oder alle Muslime seien beleidigt worden, entfachte – allerdings erst vier Monate später, nachdem der Protest gezielt geschürt worden war – eine explosive Empörung in der islamischen Welt vom Nahen Osten bis nach Indonesien. Hier soll jetzt nur die Reaktion einiger deutscher Karikaturisten auf diese Gewalteskalation interessieren. Verbildlichen sie – wie man vielleicht erwarten könnte – nun (entsprechend unzähligen Textkommentaren) einen „Kampf der Kulturen“? Wird die religiöse Schmähung einerseits und Intoleranz andererseits zum Bildthema gemacht? Die satirischen Zeichner konzentrieren sich meist auf Randaspekte und ihr eigenes Betroffensein. Aber einmal deutet auch eine der mir zugänglichen Karikaturen das hier zentrale Problem des interkulturellen Verstehens bzw. Missverstehens wenigstens vorsichtig (eher indirekt) an.
Insgesamt erscheint mir diese Bildergruppe gut geeignet, einige Gesichtspunkte der „Bild-Übersetzung“ exemplarisch zu beleuchten. Die Beispiele entstammen, mit einer Ausnahme, der „Süddeutschen Zeitung“ aus einem Zeitraum von knapp zwei Wochen. Die ersten drei zeigen, dass politische Karikaturen – wie es für gesellschaftskritische Cartoons überhaupt typisch scheint – vielfach Sachverhalte nur illustrieren. Ihre komische Pointe resultiert oft aus sprachlichen Formulierungen mit witzigen Assoziationen. Im Sprachwitz zündet der Funke und die Bilddarstellung bedeutet dann im guten Falle eine hübsche Zugabe, die den Schmunzeleffekt erhöht.