Charles de Gaulle in Tiergestalt


Par Peter RONGE (Telgte bei Münster/Westf. (BRD))
Article paru dans Ridiculosa n° 10 (2003) Les animaux pour le dire. La signification des animaux dans la caricature.

Charles de Gaulle in Tiergestalt [1]



 

Bei der Analyse von gut 60 Pressezeichnungen de Gaulles in Tiergestalt verfolge ich folgende Leitfragen :

Welche Tierarten wurden für die Darstellung ein und desselben Politikers herangezogen ? (ikonographische Prüfung des Korpus)

Warum haben die Zeichner ein bestimmtes Tier oder eine gewisse Tiergruppe unter Berücksichtigung von « Ähnlichkeit » mit dem Modell gewählt ? (morpho-semantische Hypothesen zur Vorbereitung der ikonologischen Deutung)

Welche möglichen und wahrscheinlichen mimetischen und morpho-semantischen Interferenzen bzw. Überlagerungen treten auf, wenn bei Realisierung der Zeichnung eines Polit-Tiers auf weitere, in der Kultur des Zeichners historisch angelegte Repertorien wie Bildsprachmuster, Fabel, Heraldik, National- und geographische Symbole, Literaturzitate u.a. zurückgegriffen wird ? (Ziel ist eine komplexere und hinlängliche, aus allen wesentlichen Bildkomponenten abgeleitete ikonologische Analyse der Tierbilder)

und schließlich :

Läßt sich für ein gegebenes Korpus von Polit-Tieren ein spezifischer Katalog oder ein bestimmtes Raster von mimetischen, sprachlichen, morphologischen, heraldischen, Fabel-, Symbol-, Mythen-Kriterien und -komponenten der Bildinszenierung ermitteln oder folgen derlei Tierbilder den auch sonst gängigen Regeln der Bildfindung ? Läßt die ikonologische Analyse des Korpus Rückschlüsse darauf zu, ob mit der Animalisierung der « Zielperson » Charles de Gaulle (wie es noch in der « Belle Époque » üblich war) in der Regel dessen moralische oder politische Demontage beabsichtigt scheint, oder kann die Animali­sierung des Politikers eher als eine ‑ vorab wertneutrale ‑ zeichnerische Bildfindungsstrategie unter vielen anderen betrachtet werden.

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Charles de Gaulle war der bedeutendste, bekannteste und weltweit meistgezeichnete französische Politiker des 20. Jahrhunderts, im Frankreich der Rotationspresse mit vielen Titeln, hohen Auflagen und einer vielgelesenen satirischen Presse ohne Frage der meistkarikierte Politiker seit es Pressekarikatur gibt. Er stellte Napoleon I. und Napoleon III. weit in den Schatten. Allein die in etwa 20 Jahren angesammelten Zeichnungen dieses Politikers in satirischen Blättern, Anthologien und Alben einzelner Zeichner im Archiv des Verfassers dürften 4000 Stück übertreffen. Dieser Umstand erlaubte die kurzfristige Ermittlung und Dokumentation eines Korpus von 64 oder 65 Blättern überwiegend, aber nicht nur aus der Zeit der Präsidentschaft der V. Republik und gestattete die sœben skizzierte Untersuchung.

 

Hier soll kein Porträt der physischen, psychischen und mentalen Persönlichkeitsmerkmale des Berufssoldaten und langjährigen Mitarbeiters und späteren Gegners von Philippe Pétain versucht werden, der sich trotz der alliierten Invasion in der Normandie immer als eigentlicher Befreier Frankreichs von der deutschen Besatzung ansah, dessen größte Verdienste indes in der mutigen Beendigung des Algerienkriegs nach Gründung der V. Republik und während seiner Präsidentschaft sowie in der Abwehr des Hegemonialdrucks der USA auf Frankreich bestand. Einige Eckdaten zur Person müssen hier jedoch als « Folie » zum Verständnis der Bilder und ihrer Deutung genannt werden.

 

Der Zweisterne-General war sehr groß und – bis auf ein in den letzten Jahren entstandenes Bäuchlein ‑ zeitlebens schlank. Er hatte die berühmte Militärakademie St.-Cyr absolviert, war belesen und kultiviert, schrieb selbst viele Bücher in einem guten, an den Klassikern des 17. bis 19. Jahrhunderts geschulten blumig-antiquierten Stil. Als Präsident galt er als einsamer, schwieriger, bisweilen monoman wirkender Gesprächspartner v.a. für seine Berater, die er des öfteren autokratisch abgefertigt haben soll. Seine Biographen und Vertrauten sind sich über seinen brillanten Intellekt und sein « Elefantengedächtnis » einig, das ja nach gängiger Ansicht nachtragend sein soll.

 


 

 


 

 


 

 


 

 


 

 


 

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Unser in wenigen Stunden aus den Zufallsbeständen einer Privatsammlung ermitteltes Korpus besteht aus 64 oder 65 Stücken und ist natürlich ebenso aleatorisch wie unvollständig. 26 mal erscheint de Gaulle in Vogelgestalt 10 verschiedener Tierarten. Allein 16 Hähne, deren einer ein Pfauenbastard ist, 1 Gans, 2 Schwäne, 1 Strauß, 1 Reiher, 1 Storch, 1 Flamingo, 1 Pelikan und 2 Adler, deren einer doppelköpfig ist. 34 weitere Tiere sind Säugetiere aus 13 Spezies : 3 Pferde, 2 Stiere und 1 – schon vor BSE « verrückte » – Kuh, 1 (Spar‑) Schwein, 1 Widder und 1 « schwarzes » Schaf, 6 Hunde, 1 Wolf, 1 (halber) Tiger, 1 Fuchs, 7 Giraffen, 6 Elefanten, 1 Gorilla, 1 Känguru und – als einziges Wassersäugetier des Korpus – 1 Seehund. Diesen 60 aus der realen Tierwelt gewählten Exemplaren stehen noch 2 oder 3 Drachen, 1 Einhorn und 1 Seeschlange des Typs Loch Ness als mythisch-literarische fiktive Tiere gegenüber. Die 64 oder 65 Stücke lassen sich also 26 Tierarten, davon 23 realen und 3 fiktiven, zuordnen.

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Das erste Wahlkriterium könnte der Notwendigkeit einer minimalen mimetischen « Ähnlichkeit » der Tiergestalt mit morphologischen Zügen des Modells entspringen. Hier läßt außergewöhnliche Körpergröße des Modells beim Zeichner offenbar ein Analogiebedürfnis entstehen. Geeignete Tiere sind fraglos die Giraffen (17) und Elefanten (813), deren Häufigkeit mit je 7 und 6 Stücken die statistischen Folgeplätze nach den 16 Hähnen des Corpus einnehmen. Diese Großtiere werden allein oder im Kontext anderer Tiere verarbeitet, und ihre Größe wird dem Betrachter ebenso als absolute wie – im Vergleich mit kleineren – relative Größe vermittelt. So überragen die Giraffe 1, der Elefant 11, die Hähne 14 und 15, der Gorilla 17 oder das Känguru 18 jeweils deutlich ihre Bildnachbarn. Für die vielen Giraffen aus französischer Feder gilt noch zu beachten, daß das französische Wort girafe eine gewissermaßen « ikonisierbare » metaphorisch-familiäre Bedeutung personne grande et maigre also große, dünne Person (Robert 1995, s.v. 2) bereitstellt. Die absolute Größe eines Tiers wird dem Betrachter auch unabhängig vom Kontext vermittelt, wie der Elefant 12, die Giraffen 27 und die Stelz- bzw. Laufvögel 36, 37 und 39 es nahelegen. Langbeinigkeit und Körpergröße als Primärkriterium scheinen so immerhin etwa 30 % des Korpus bestimmt zu haben.

Große wie kleine Tiere werden gelegentlich kontextuell bedingt modifiziert oder bastardisiert, wie es für die Giraffe 3 mit (Tierkreis-)Schützen »oberteil », die surrealistische « Säbelgiraffe » 4 oder das fliegende Referendumbo 5 der Fall ist. Ebenso werden den physischen Wahlkriterien bei Bedarf weitere, moralische aufgepfropft : Köhlers Elefant 8, trägt, pfeilgespickt wie der Märtyrer Sebastian, dennoch einen überlegenen Ausdruck der Unverwundbarkeit zur Schau, was durch die Unterschrift Unbeirrbar gestützt wird, seine Artgenossen 9 und 10 eher den der Müdigkeit und Resignation. Der eitle Bastard aus Hahn und Pfau 16 stolziert, das ganze Bildformat füllend und die Brust voller Orden wie Saul Steinbergs eitler Göring, mit dem Kopf über den Wolken – vgl. frz. être perdu dans les nuages (Robert 1995, s.v. nuage 1), etwa : konfusen Ideen nachhängen – vor Uncle Sam und John Bull.

Diese beiden allegorischen Hintergrundfiguren werden von der Mischung aus (eitlem) Pfau und Hahn (mit de Gaulles Kopf und Schirmmütze) als prallem und wolkenhoch aufragendem Nationalemblem « gallischer Hahn » fast aus dem Bild gedrängt. Auf 15 weiteren Blättern (14, 15, 1931), die hier leider nicht einzeln erläutert werden können, ist de Gaulles Kopf auf Hahnenkörpern zu sehen. Das heißt, daß 25 % des Korpus auf die trivialstmögliche, nämlich emblematische Tierwahl Hahn zurückgreift. Zusammen mit den 30 % Großtieren und langbeinigen Vögeln (s. o.) scheinen die primären Wahlkriterien Analogie zur Körpergröße des Modells und National-Emblematisierung mit insgesamt nur 6 von 23 Tierarten für rund 55 % des Korpus gegolten zu haben.

Neben Hahn und Pfau wird de Gaulle noch in weitere 8 gefiederte Tierarten versetzt. Eine Gans mit Generalsmütze (32) steht mit beiden Füßen in einer Schlinge Wehrmacht, mit der ein deutscher Stahlhelmträger 1961 sie fesseln wird, wobei ihr der mit der Warnung Besatzungsjahre 1940-1944 beschriftete Merkknoten in ihrem Hals nichts zu nützen scheint : diese dumme Gans aus dem russischen Krokodil von 1961 ist eine der wenigen eindeutig pejorativ-herabsetzenden Tierinkarnationen des Präsidenten. Der Strauß 33 von Maurice Henry nutzt gleichermaßen seine Langbeinigkeit wie den Vorhalt angeblicher politique de l’autruche / Vogel-Strauß-Politik angesichts weiter anhaltender militärischer Gewalt trotz und nach deren in Évian offiziell besiegeltem Ende. Zwei Schwäne von Moisan (34, 35) – davon einer gekrönt und der andere vor einem Mikrofon im Fernsehmonitor zu sehen – sind, weil undatiert, schwer zu deuten, obwohl es sich bei letzterem sehr wahrscheinlich um den medial vermittelten politischen Schwanengesang des Tiers von ca. 1969/70 handeln dürfte. Jean Effels mützen- und koppelbewehrter Reiher 36 am Ufer des Rubikon nimmt neben der (physischen) Langbeinigkeit, per Zitat des Verses 3 gesichert, La Fontaines Fabel VII, 4 auf und entstammt seinem Petit Bestiaire [19]48, ou l’embarras du choix (Kleines Bestiarium 1948, oder die Qual der Wahl), das 6 potentielle Ministerpräsidenten zeigt, zwischen denen Unsere [beiden französischen !] Staatspräsidenten Harry Truman und Vincent Auriol [sic !] zu wählen haben, um einen anderen Verwalter der Wohltaten Onkel Sam’s zu finden, ein Tier, das sich der fabelhaften Neuen Zeit [des Marshall-Plans] würdig erweist. (cf. Jean Effel, Toujours occupés. Paris, Cercle d’Art, 1955, unpagin.). Für den Storch 37 desselben Zeichners von 1947 scheinen wie für den Flamingo 39 des zeitweilig in Paris beheimateten Portugiesen Tinho aus den frühen 60er Jahren die Stelzvogelbeine erster Wahlgrund zu sein, ergänzt um die fast emblematische « elsaßtypische » Referenz des nach Straßburg fliegenden Vogels und die sonst dem Strauß (vgl. oben 33) zugeschriebene Eigentümlichkeit, die Augen vor Evidenzen – hier : einem öffentlich bekundeten Sozialkonflikt durch Verbergen des Kopfes im Gefieder – zu verschließen. Aus Mussets jedem französischen Schüler bekanntem Gedicht La Nuit de Mai (Mainacht) zitiert der literaturbeflissene Effel in seinem Pelikan 38 von 1960 drei Verse als Untertitel, die den Mythos vom selbstlosen Vogel verarbeiten, der seine Jungen in Not mit dem eigenen Brustfleisch nährt ; diese zeigen die Köpfe bekannter gaullistischer Minister der V. Republik und flattern dem am normannischen Kanalufer offenbar aus Großbritannien unverrichteter Dinge – « mit leerem Kropf » – landenden Elterntier bettelnd entgegen. Hier scheint neben dem literarischen Bezug die durch die Eltern-Kind-Proportion ausgedrückte relative Körpergröße gleichzeitig ins Bild gesetzt. In 40 von dem in England tätigen Papas von Januar 1965 trägt der « Concorde« -beschriftete Adler de Gaulle den munter Pfeife rauchenden britischen Premier Harold Wilson wie ein Beutetier in seinen Fängen, offenbarer Ausdruck der Befürchtung, daß der Verhinderer des britischen EG-Beitritts nun auch noch im bilateralen Luftfahrtprojekt den Sieg davontragen könnte (cf. frz. : emporter le morceau). Der mit de Gaulles und Adenauers Doppelkopf und diesen Politikern zugeschriebenen Symbolen, mit mächtigen Schwingen, Schwanzfedern, Fängen und Floraldekor fast das ganze Bildkarree füllende heraldische Adler 41 des Niederländers Opland aus dem Juli 1961 ist der Held des Wilden Westens überschrieben und fragt unterhalb des mit der unnötigen Textsicherung deutsch-französische Hegemonie versehenen Vogels unter Anspielung auf die Georgslegende : Wird Sankt Luns den Drachen töten ? Der niederländische Held geht unten links im Bild als Ritter mit Lanze und Schild auf das Machtmonster los.

Die Säuger bilden 5 Haustierarten mit 14 sowie 4 Raubtierarten mit 4 Zeichnungen, deren letzte das einzige Meerestier zeigt. Effels Widder 42 aus einem politischen Tierkreis von 1960 liefert während des Algerienkriegs – mit einer verbalen Anspielung auf den Namen des nicht zimperlichen Kolonialgenerals Massu als de Gaulles Mann vor Ort in der vierzeiligen, « altertümelnd » formulierten Bildunterschrift – den lernwilligen Kolonisierten « umwerfende » Argumente. Der Deutsche Bensch zeigt in 43 den US-Hirten L.B.Johnson bei der Überwachung seiner links-westwärts gewendeten weißen Schafherde, in deren Mitte ein einziges, natürlich schwarzes Schaf (frz. mouton noir oder pejorativer : brebis galeuse) nach rechts-ostwärts zu entweichen scheint, eine klare Ikonisierung der gleichlautenden populären Metapher, wie Behrendts Vive le franc untertiteltes Borstenvieh 44 mit Münzschlitz natürlich die der Vokabel Sparschwein ohne jede pejorative Konnotation darstellt, das es, wie an 44a zu sehen, auch in Frankreich gibt. Die beiden mythischen Ver- und Entführer der Europa, die den antiken Gott Zeus-Jupiter 45 und 46 als Stierins Bild setzen, zeigen zunächst, wie dürftig sich die bemüht-schulmeisterlich betextete Skizze Faizants vom 05/07/62 im Vergleich mit Moisans undatiertem, aber etwa gleichzeitigem phantasievollem Panorama mit fast einem Dutzend identifizierbaren Politikergestalten ausnimmt, die Zeugen oder Mitstreiter der Entführung der nackten Schönen werden. Die griechische Heldensage variiert der Brite Cummings am 08/02/63 mit gleich 2 streng symmetrischen trojanischen Pferden 47 beidseits des Ärmelkanals als Kopfporträts MacMillans und de Gaulles mit erhobenem Holzbein und Kennedy bzw. Chrutschow in der Bauchklappe ; die gemeinsam formulierte Sprechblase besagt : « Was unangenehm ist an Ihnen, ist die Tatsache, daß Sie ein gefährliches Trojanisches Pferd sind ! » Das doppelköpfige – Adenauers und de Gaulles Züge tragende – Rennpferd Gemeinsamer Markt [der] 6 48 vom selben Zeichner wirft seinen Jockey MacMillan ab, der im Fluge – unter Bezug auf das kurz davor gegen den britischen Starjockey Lester Piggott ausgesprochene Startverbot – ausruft : In manchen Momenten möchte ich tatsächlich vom Jockey Club suspendiert werden… Wie hier ein fait divers der pferdesportbegeisterten Briten, löst in 49 von Fritz Wolf ein (mangels genauer Datierung nicht exakt bestimmbares) Wahlereignis des Jahres 1969 die Animalisierung aus : eine mager-schwächelnde, de-Gaulle-köpfige Mähre Gaullismus, die der Jockey Pompidou mit den Worten Wird schon klappen morgen, Alter ! und Streicheln der Nüstern zu ermuntern sucht. Eine Kuh, deren 4 Füße gleichzeitig in der Luft scheinen und wie das Maul strahlenumkränzt das englische Wort gold neben sich haben, ist undatiert (vor 1969) und bleibt enigmatisch (vielleicht der Nr. 44 bedeutungsgleich ?), auch wenn man sie – längst vor BSE – für verrückt halten mag.

Insgesamt 6 Hunde mit den Zügen des Präsidenten bilden die stärkste Haustiergruppe im Korpus. Behrendt zeigt in 51 eine Meute 9 namensbeschrifteter französischer Polit-Köter, die sich um den Knochen Präsidentenamt prügeln werden, wenn das nach verlorenem Referendum mit erhobenem Schwanz abtretende α-Tier de Gaulle weg ist. Von dem Schweizer Jüsp (Jürgen Spahr) stammt die zweizeilige Skizze 52 Hundeleben, in deren oberer Spalte rechts de Gaulle, Kennedy, MacMillan und Adenauer gemeinsam Chrutschow (links) anbellen, der darunter ruhig schläft mit der Folge, daß sich die vier « Westköter » gegenseitig bekläffen. In den aufeinander bezogenen Zeichnungen 53 und 54 vom 17/01 und 31/01/63 von Desenti stehen sich zunächst gemäß der Bildunterschrift Der Löwe und die Dogge (europäische Fabel) MacMillan und de Gaulle, dieser die Pfoten auf dem Knochen Europäische Gemeinschaft, symmetrisch abwartend gegenüber. Die zweite Zeichnung titelt Europäische Fabel (Fortsetzung) : der neue Cerberus und zeigt den gestiefelten und bewaffneten Cowboy Kennedy, wie er den vor dem Köter Zuflucht suchenden Löwen in seine offenen Arme schließt. Ein weiterer Behrendt 55 vom 22/02/63 zeigt den Wachhund Charlie, größer als seine Hütte, unter Adenauers Fenster am Haupteingang von Euro-Home, dem freilich entgeht, daß sich MacMillan über die Tür des Anbaus Assoziation ins Haus zu schleichen im Begriff ist. In 56 nochmals von Cummings schließlich stehen sich Johnson und Gromyko symmetrisch gegenüber und halten ihre Ziehhunde, den weißen Wilson und den schwarzen Pudel de Gaulle an den Ohren. Dieser sagt zu seinem Gegenüber : Das Dumme an Ihnen, Mr. Wilson, ist ja nur, daß Sie kein 100%er Westeuropäer sind !

In Effels Nr. 57 von 1947 findet sich Frankreichs Allegorie Marianne zwischen dem braven Hündchen Ramadier, weiland Ministerpräsident, und dem Märchen- oder Fabelwolf de Gaulle zur Wahl aufgerufen. Der Frankoschweizer Leffel unterschrieb seine undatierte und undeutbare Chimäre 58 – halb gestreifter Tiger, halb gerüsteter Ritter – La Belle et la Bête. In Behrendts Version der Fabel vom Fuchs und vom Raben 59 -der zweiten des Korpus : cf. 31 – betrachten die Füchse de Gaulle und Couve de Murville über dem Text Nun hört Euch doch an, wie laut er singt und wie falsch ! den Raben Pompidou, an dessen Ast von hinten Michel Debré sägt. Die Zeichnung von 1969 bezieht sich wohl auf Pompidous römische Indiskretion von 1969, er betrachte sich als legitimer Amtsnachfolger de Gaulles, in den Augen des noch Amtierenden eine « Anmaßung », die das Verhältnis der Herren definitiv vergiftete. In Cummings Querschnitt durch das politische Leben im Ärmelkanal am 26/09/61 Nr. 60 springt der mutige Schwimmer MacMillan mit Flossen gewappnet ins Wasser, um den Kanal nach Europa (cf. Schild) zu durchschwimmen, ohne zu wissen oder zu fürchten, daß ihn 6 britische und 5 französische Meeresmonster, darunter rechts oben die Robbe de Gaulle als einziges Wassersäugetier, daran hindern wollen und werden, an Land zu gehen.

Der in der Natur nicht vorkommenden Mythen- und Fabeltiere sind nur 3 oder 4 im Korpus vertreten : eine dem Monster von Loch Ness ähnliche Riesenschlange im Tierkreiskontext 61 von 1959 aus Effels Feder, ein heraldisch generiertes Einhorn de Gaulle 62 (Cummings vom 02/03/62), das mit dem gekrönten Löwen MacMillan und Adenauers Kopf unter einer Pickelhaubenkrone zusammen das Euro-Wappen mit der Wahlspruchbande­role : One People ! Ein Reich ! Un Président ! umrahmt und zwei Drachen in ostasiatischer Manier von Moisan, deren einer, 1971 in einem Buch erschienener 63 mangels Kontext oder Datierung nicht näher zu deuten ist, während der andere das Mittelstück eines dreiteiligen Wandschirms mit der Unterschrift Justiz-TriptychonDie vulgäre, subalterne und splitternackte Wahrheit befindet sich hinter dem Paravent ziert. Der zentrale Drache de Gaulle wird gezeigt zwischen seinen Komplizen und Ministern Frey und Foccart in der giftigen Karikatur zur finsteren und damals verschleierten Ben Barka-Mordaffäre (vgl. links oben), in der dieser marokkanische Mathematiklehrer und Oppositionspolitiker nach heutigem Kenntnisstand im Auftrag seines skrupellosen Ex-Schülers und -Freundes, des marokkanischen Königs selbst mit französischer Hilfe in Paris entführt und vom marokkanischen Innenminister persönlich in Frankreich gefoltert und ermordet wurde.

Das aufgeblasene sechsbeinige, zwischen Wasser und Wolken schwebende Wesen 65 ist das einzige Tier des Korpus ohne sichtbare Ähnlichkeit mit de Gaulle undsollte ihm wegen dieser fehlenden Kontrollmöglichkeit nicht fest zugeordnet werden, obwohl der beruhigend und ZZuuckkker… versprechend vor seinem Krokodilsmaul postionierte Engel und Schriftsteller François Mauriac in den Zeichnungen Moisans gleich dutzendfach als ausschließlich de Gaulle begleitende gaullistische Propaganda-Putte anzutreffen ist.Mit diesem unsicheren Fabelwesen ist unser Korpus erschöpft und der Zeitpunkt für Schlußfolgerungen gekommen.

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1) Im Korpus sind – bis auf den fraglichen Fall 65 – sämtliche Tierbilder de Gaulles aus den Jahren 1945 bis ca. 1970 ikonographisch durch porträtartige mimetische Angleichung der Köpfe nach dem Prinzip Menschenkopf + Tierleib strukturiert und so hinsichtlich eindeutiger Zuordnung zum Modell gesichert, auch wenn diese Kopfporträts zusätzlich mit tierischen oder menschlichen Versatzstücken wie etwa Hahnenkamm oder Schirmmütze dekoriert, wie die zugehörigen Tierleiber mit Uniformteilen oder Waffen bestückt sein können.

 

2) In fast einem Drittel dieser Karikaturen scheint die artbedingt absolute (Giraffe, Elefant u.a.) oder (innerhalb einer gezeichneten Gruppe) relative Körpergröße bzw. Langbeinigkeit (der Lauf- und Stelzvögel) ikonographisches Erstkriterium für die Wahl der Tierart zu sein ; diese physischen Analogmerkmale zum Modell werden freilich meist durch weitere, andersartige ergänzt.

 

3) Bei Tieren jeder Größe können andere als physische (Ko-)Determinanten die Wahl (mit)bestimmen. Die mit 16 Exemplaren (= 25%) üppigste Teilmenge des Korpus dürfte die – von der Bildidee her eher triviale – nationalemblematische Inkarnation de Gaulles als Hahn sein. Die nächstgroße Teilmenge (ca. 9%) sind die 6 Hunde, deren ikonologisch-semantische Gemeinsamkeit in der Überwachung nationaler oder kontinentaler Sonderinteressen besteht. Die nicht oder nicht nur auf angebliche physische Analogien abzielenden Wahlgründe entstammen dem sowohl Zeichnern wie Betrachtern gemeinsamen, vertrauten und redundanten geschichtlich-kulturgeschichtlichen Fundus antiker Mythen (Zeus und Europa), Sagen (Troja) und Fabeln (Fuchs und Rabe) mit ihren tradierten Anthropomorphisierungen ; christlicher Überlieferungen in Wort und Bild ; Herrschaftsbildern wie Waffen- und Uniformwesen oder Heraldik ; populären Weltdeutungsmustern wie Tierkreis. Ebenso liefern lexisch-sprachliche Muster und Prägungen (nachtragend wie ein Elefant ; Vogel-Strauß-Politik ; dumme Gans ; eitel wie ein Pfau ; Schwanengesang ; frz. entre chien et loup = Abenddämmerung ; girafe = langer, dünner Mensch) und Alltagswissen (Hühnerhof ; Hundehaltung ; Pferderennen ; Zoos und Aquarien für nichtheimische Wildtiere ; Schachspiel ; Boxen ; schwimmend den Ärmelkanal überqueren) Visualisierungsstrategien, die freilich mit anderen kombiniert oder von ihnen überlagert sein können.

 

4) Dominierenden Kriterien nach 2.) und / oder 3.) können nämlich offenbar uneingeschränkt beliebige andere aufgepfropft werden, so daß gelegentlich hybride bzw. Bastard-Tiere ins Bild gesetzt werden, wie der Hahn mit Pfauenschwanz oder der zum gallischen Hahn degenerierte, uniformierte und bewaffnete Rabe der Fabel. Weitere Beispiele. : 2 trojanische Pferde beidseits des Kanals (Mythos und Geographie) ; der Fabelrabe (Hybridisierung mit emblematischem Hahn, Uniformmaskarade, Kriegswaffen).

 

5) Die metaphorische Animalisierung notorischer Individuen zum Zweck ihrer satirischen Repräsentation läßt (bei Zugrundelegung und Auswertung des hier erörterten Korpus und der Gepflogenheiten seiner Epoche) keinerlei von anderen satirischen Inszenierungsmustern abweichende Regeln erkennen, wenn man davon absieht, daß die Sicherung der Identifizierbarkeit des « Modells » ausnahmslos über einen dominant anthopomorph und porträtnah gestalteten Kopf, die satirische Botschaft hingegen über einen zoomorphen Leib mit oder ohne weitere Kontextelemente aus dem redundanten sprachlich-gesamtkulturellen Fundus der betroffenen Gesellschaft erfolgt.

 

6) Eine pejorativ denotierende Absicht umfassender persönlich-moralischer oder politischer « Demontage » des Modells läßt sich aus der Wahl von Tiergestalten für de Gaulle im vorliegenden Korpus kaum erschließen ; entsprechende Konnotationen können freilich dort als beabsichtigt gemutmaßt werden, wo eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten (dumme Gans ; Kopf-in-den-Sand-Stecken) oder charakterliche Schwächen (eitler Pfau ; nachtragender Elefant) suggeriert werden. Damit bleiben die Animalisierungen des dritten Viertels des 20. Jahrhunderts in ihrem destruktiven Impetus aber sehr weit hinter dem zurück, was etwa in der Dreyfus-Affäre an Bösartigkeit gang und gäbe war.

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Im nachfolgenden chronologischen Verzeichnis der Bildquellen werden unsere fortlaufenden Bildnummern in Klammern angegeben, wo möglich nach Komma gefolgt von der Fundseitenzahl :

 

1. Jean Effel, R[assemblement de] P[etites] F[acéties]. Recueil de 1947. 116 dessins. Paris, La Bibliothèque Française, 1948, non pag. (3, 4 ; 7 ; 37 ; 57)

2 Jean Effel, Toujours occupés. Paris, Le Cercle d’Art, 1955. non pag. (5 ; 36)

3 Hanns Erich Köhler, W.E. Süskind, Wer hätte das von uns gedacht. Zehn Jahre Bundesrepublik Deutschland. Boppard, Boldt, 1959, 162 pp. (11, 132 s.)

4 Jean Effel, L’Unique. 97 dessins […]. Paris, L’Express, 1960, non pag. (6 ; 25 ; 38 ; 42 ; 61)

5 Werner Istel, Bernhard Schwichtenberg (édd.), Skandinavische Karikaturen. Eine Ausstellung des Presseamtes der Stadt Kiel. Kiel, Städtisches Presseamt, 1966, 230 pp. (10, 113)

6 Edmond Jouve, Le Général de Gaulle et la construction de l’Europe (1940-1966). Tome II. (=Annexes. Troisième partie : Documents iconographiques. II. Dessins politiques 1951-1965). Paris, Pichon & Durand-Auzias, 1967, pp. 581-942 (= Bibliothèque constitutionnelle et de Science politique, XXV) (13, 869 ; 15, 631 ; 30, 836 ; 31, 751 ; 32, 667 ; 40, 898 ; 41, 657 ; 45, 710 ; 47, 811 ; 48, 699 ; 52, 765 ; 53, 772 ; 54, 799 ; 55, 820 ; 60, 662 ; 62, 681)

7 Fritz Behrendt, Schön wär’s. Boppard, Boldt, 1967, non pag. (1)

8 M. L. Michel (éd.), De Gaulle. 300 caricatures de 50 dessinateurs. Anthologie historique de la caricature. Nukerke (B.), Cérès / De Riemaecker, 1967, 144 pp. (26, 96 ; 27, 99 ; 28, 73 ; 29, 134 ; 35, 42 ; 43, 79 ; 58, 47)

9 Roland Moisan, Dix ans d’histoire en cent dessins. Paris, A. Michel, 1968, non pag. (Coll. La Main à Griffe) (64)

10 Jean-Claude Simoën, La France à travers de Gaulle.De Gaulle à travers la caricature internationale. Paris, A. Michel, 1969, 191 pp. (11, 96s. ; 19, 165 ; 21, 19 ; 22, 57s. ; 23, 120s. ; 24, 160s. ; 33, 69 ; 50, 92 ; 56, 79)

11 Fritz Behrendt, Einmal Mond und zurück. Ein Rückblick auf das Jahr 1969 […]. s.l., s.d. [1970], non pag. (44 ; 51 ; 59)

12 Les Grands dessins du Général. De Gaulle raconté par la caricature. = LeCrapouillot N.S. 14, décembre 1970-janvier 1971, 92 pp. (2, 23 ; 39, 46)

13 Roland Moisan, Il a été une fois. Film d’Ortrud. Paroles de Fabrice. Paris, Denoël, 1971, 167 pp. (18, 25 ; 34, 78s. ; 46, 51 ; 63, 64s.)

14 Hanns-Erich Köhler, Die Lage der Nation. Frankfurt / M., Societätsverlag, 1974, 232 pp. (8, 58s. ; 16, 14s.)

15 Otto Baur, Bestiarium Humanum. Mensch-Tier-Vergleich in Kunst und Karikatur. München / Gräfling, Moos, 1974, 164 pp. (9, 138+162 ; 49, 140+162)

16 Jean Mulatier, Jean Morchoisne, Patrice Ricord, Ces Animaux qui nous gouvernent […]. Paris, Dervish Publications 1000, 21982, 65 pp. (12, 6s.)

17 Günther Nicolin, A[ndreas]. Paul Weber. Schachspieler […]. Hamburg, Christians, 1988, 160 pp. (20, 132+154s.)

18 Siné, Pourquoi tant de haine ? […]. Paris, La Découverte, 1989, 192 pp. (17, 82s.)

19 Roland Moisan, Histoires d’une république de De Gaulle à Mitterrand. Paris, Musée de la SEITA, 1993, 112 pp. (14, 42)

Telgte bei Münster/Westf. (BRD)


[1] Avis aux lecteurs francophones : L’auteur ayant rédigé, lu et distribué le texte de son intervention orale en son français approximatif et en photocopies illustrées, enrichies d’une belle fable gaullienne lors du colloque, il enverra une copie à tout/e intéressé/e qui lui expédiera par lettre son adresse postale accompagnée de timbres-postes d’une valeur de 2.50 € à son domicile : P. Ronge, Bahnweg 16, D‑48291 TELGTE (RFA).